Archive for Januar 2015

 
 

Und darum wird beim happy end im Film jewöhnlich abjeblendt.

Und darum wird beim happy end im Film jewöhnlich abjeblendt. (Tucholsky)

Sie hört, wie sich die Tür langsam öffnet. Erschrocken zieht sie die Decke über den Kopf. Bitte, bitte nicht, wimmert sie in sich hinein. Lieber Gott, hilf mir. Aber die Tür öffnet sich weiter. Ihr Vater kommt leise ins Zimmer. Bis spät in die Nacht hat sie die Eltern streiten hören. Die schrille vorwurfsvolle Stimme der Mutter, die dunklen, lallenden Worte des Vaters. Seine Entschuldigungen, seine Versprechungen. Und nun sucht er wieder Trost bei ihr. Sie riecht den Alkoholatem, als er sich an sie schmiegt. Darf sie ihn im Stich lassen, jetzt, wo es ihm so schlecht geht? Sie versucht, von ihm wegzurollen, aber er hält sie fest. Nicht bewegen, sagt sie sich, ruhig atmen, er wird gleich einschlafen. Sie schiebt die Hand weg, die sich zwischen ihre Beine gelegt hat.
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Frau Mitschkes Traum

Die Mitschkes waren in den letzten Kriegsjahren aus Schlesien geflohen. Sie waren fromme, fleißige Leute, die sich mit dem Geld vom Lastenausgleich einen kleinen Bauernhof im Münsterland gekauft und ihrer einzigen Tochter früh beigebracht hatten, dass ein anständiges Leben nur derjenige führen kann, der hart arbeitet und früh aufsteht. Die Kühe mussten gemolken, die Schweine ins Freie gelassen, die Hühner gefüttert werden.
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Café Majestic

Seit zwei Monaten lebt Annika  in Porto. Sie ist immer wieder hingerissen, wenn sie von Vila Nova de Gaia kommend über den Douro fährt und die Silhouette der Stadt sich vor ihr aufbaut: die Kathedrale, der Torre dos Clerigos, die bunten Häuser am Fluss. Sie hat sich die Innenstadt erlaufen und ist eingetaucht in die Betriebsamkeit der Gassen und Plätze.
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Herbstzeitlose

herbstzeitlose»Muss das wirklich sein?«, Gudrun Hoberger blickte ihren Mann angewidert an, der seine Stulle dick mit Leberwurst belegte und sich noch ein Bier nachgoss.
»Doktor Jensen hat doch gesagt, dass du dringend abnehmen musst. Sonst kriegst du bald überhaupt keine Luft mehr.«
»Ach was«, sagte Wolf-Dieter und rollte entnervt mit den Augen. «Das ist erst meine vierte Scheibe Brot. Und außerdem schmeckt es mir.«
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Date im U-Bahn Schacht

schuhNoras Hände waren feucht, als sie die Rolltreppe zur U-Bahn-Station  hinunterfuhr. Die Handlaufschiene aus blauem Plastik klebte. Warm war es, die Luft stand. Es stank nach Autoabgasen und Bratwurst. Angeekelt zog sie die Hand weg, versuchte, auf der steilen Treppe die Balance zu halten. Vielleicht hätte sie doch nicht die neuen High Heels mit den spitzen silbrigen Absätzen anziehen sollen.
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Therapiestunde

»Und das sind Sie auf dem Bild?«, fragt die Journalistin und zeigt auf das Schwarz-Weiß-Foto an der Wand. »Sie waren eine Schönheit, wissen Sie das?«
Die alte Dame lächelt. »Nun übertreiben Sie mal nicht.«
»Doch, doch«, sagt die Journalistin und schaut ihre Gastgeberin an. Ein Gesicht von einem langen, sicher nicht immer einfachem Leben gezeichnet. Doch die breiten, hohen Wangenknochen, das klar geschnittene Kinn, die sorgfältig hochgesteckten, grauen Haare und vor allen Dingen die funkelnden, hellen Augen sind immer noch bemerkenswert schön.
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Die Klingel

image004»Mama«, sagt Max-Emanuel und knabbert an seinen Nägeln.
»Nimm die Finger aus dem Mund«, sagt seine Mutter und schlüpft in den roten Mantel.
»Mama«, versuchte es Max-Emanuel noch einmal.
»Also, los. So wie du guckst – was hast du verbrochen?«
»Tja, ich weiß nicht so genau. Ich kann mein Mountainbike einfach nicht finden.«
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Casino Lisboa

 

Jeannette stürmt durch die Glastür und stöckelt auf die Gruppe von elegant gekleideten Frauen zu, die in der Vorhalle des Casino Lisboa Schutz vor dem kalten Novemberwind gesucht haben.
»Na, ganz schön spät!« Luise sieht demonstrativ auf die Uhr,
»Sorry. Christian ist so spät aus der Botschaft gekommen. Ich konnte nicht eher weg. Und die Almeda dos Oceanos ist auch dicht.«
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