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Wolken

Wolken

Sagst du, welch verkitschtes Thema!.
Soll ich schwärmen von Sonnenuntergängen,
wenn violett sich das Licht in den Wolken bricht?
Wenn beim Sundowner auf den Terrassen der Kreuzfahrtschiffe
die Passagiere anfangen,
deutsche Lieder zu grölen?
Soll ich versuchen,
den rosa Sonnenuntergang zu malen,
der uns den Atem verschlägt und uns
vielleicht für ein paar Minuten
die Angst vor dem Tode nimmt,
wenn ein dunkelhäutiger Musiker zur Guitarre greift,
und mit schmelzend-dunkler Stimme
von Liebe und Schönheit singt?

Soll ich name-dropping betreiben
und mit naturwissenschaftlicher
Ausbildung protzend
den Unwissenden das Phänomen
der Wolkenbildung erklären?
Zu sachlich, sagst du, zu faktenorientiert,
das zerstöre die Stimmung. So what?
Wie sehr haben die Romantiker
den dramatischen Himmel geliebt!
Wie hingerissen waren die Maler,
Wie berauscht die Musiker!
Selbst ein Camus hat die Schönheit der Welt beschrieben,
doch der Stein des Sisyphos
rollt immer wieder nach unten..

Was nun, fragst du, hast du gar nichts zu sagen,
lässt dich die Schönheit des Himmels kalt?
Eine Schönheit, die schon Odysseus besang.
Bist du nie im Flieger nach Süden gestartet
und hast du nie – als das Flugzeug die Wolkendecke durchbrach –
den blendend–weißen Teppich gesehen,
der zwischen dir und dem Elend der Welt liegt?
Hast du immer nur auf den Landeanflug gewartet,
auf das rumpelnde Geräusch beim touch-down?
Hast du überhaupt an die Menschen gedacht,
die unter der dichten grauen Wolkendecke
ums Überleben kämpfen?

Nein, ich bin Segler, sagst du.
Ich beobachte Wolken, Wind und Wellen.
Ich genieße die weißen Schäfchenwolken,
die so zart über den blauen Himmel treiben.
Und ich ziehe den Südwester über,
wenn die Gewitterfront mit schwarzen
Wolkenbergen näher kommt
und Böen das Wasser aufpeitschen,
das Schiff tanzen lassen.
Ich fürchte die Cumulo Nimbus, die Hammerwolken,
die das Gewitter ankündigen und versuche,
den sicheren Hafen zu erreichen, denn
die Natur ist immer stärker als wir.
Rette sich in den sicheren Hafen,
wer kann!

 

Manchen Morgen

Manchen Morgen
höre ich
durch das weit geöffnete Fenster
das fröhliche Zwitschern der Vögel.
Da kitzelt der erste Sonnenstrahl
meine Füße, ich recke
die Arme, springe vom Lager,
sprühend vor Energie,
begierig auf den neuen Tag.
Geh aus mein Herz und suche Freud …

 

Manchen Morgen
erwache ich
mit Druck hinter den Schläfen,
aufgestört vom schrillen Geschrei des Weckers.
Unfähig mich zu bewegen starre ich
in den unaufhörlich prasselnden Regen.
Und wie ein Blitzes trifft mich die Erkenntnis
dass auch ich endlich bin.
Die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.

 

Manchen Morgen
hält mich
ein Traum umfangen und und lässt mich
den sonnenwarmen Sand
unter meinem Rücken spüren.
Das sanfte Rauschen der Wellen
zieht mich zurück in die Traumzeit
mit dem beglückenden Gefühl
ewigen Lebens.
It’s a beautiful day …

 

Manchen Morgen
trinke ich
die schwarze Milch der Frühe
schon vor dem Aufwachen.
Gelähmt von dem Gefühl
der Sinnlosigkeit allen Seins
verfolgen mich die Katastrophenbilder
der abendlichen Tagesschau:
Kriege, Bombenattentate,
die aufgeblähten Bäuche der Kinder.

 

Manchen Morgen
sehe ich
hinter den geschlossenen Lidern
den weißen Reiter der Apokalypse
über die unendlichen Gräberfelder reiten.
Während die Torajas
zur fröhlichen Totenfeier
dem weißen Stier die Kehle durchschneiden.
Kein Grund zu trauern.
das Gamalan-Orchester spielt auf.

 

Manchen Morgen
verfolgt mich
das Bild meiner Mutter
auf ihrem Krankenlager.
Ich streichle das stille
Gesicht der alten Frau
die friedlich Abschied nimmt.
Herr, lehre uns bedenken,
dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.

Liebeserklärung an Venedig

 

Venedig,

sage ich, ist das Ziel meiner Träume,
die Schöne am Meer,
im Wasser schwebend,
luftig und leicht,
von der Sonne gestreichelt
im unendlichen Blau des Himmels,
schwebend wie eine Fata Morgana,
die Stadt Tintorettos und Veroneses,
Bellinis und Caravaggios,
Tizians und Giottos,
die Stadt der Maler und Musiker,
der Paläste und Brücken.

Du aber sagst,
Venedig, das sei doch die Stadt
der Touristenmassen,
wo die Schatten
der Kreuzfahrtschiffe den Dom verdecken.
Venedig, das sei doch die Stadt der Skandale,
wo die Industrie die Lagune vergiftet
und die Fische tot im Wasser schwimmen.
Venedig, das sei doch die Stadt
der Mafiabosse,
wo eine korrupte Verwaltung
die Fassaden verrotten lässt.

Venedig, das sei
eine Stadt des Untergangs,
auf Pfählen gebaut,
die im Schlammwasser verrotten.
Venedig, die Stadt mit den dunklen Gassen,
wo Kinderwäsche
zwischen verfallenen Häusern hängt,
wo  Einheimische die Flucht ergreifen,
weil die Mieten zu hoch
und die Wohnungen zu teuer sind.
Venedig, eine Stadt,
aus der die Venezianer fliehen,
das Leben den VIPs übergeben,
die mit Geld und Korruption
sogar Donna Leon resignieren lassen.

Ich aber mag die 400 Brücken und 177 Kanäle,
die dreitausend Gassen und dunklen Gänge,
ich mag die schwarzen Gondeln,
auch wenn sie  Trauer tragen.
Ich mag die jungen Paare
auf dem Canale Grande,
die Herrschaftshäuser und Paläste,
Monumente einer vergangenen großen Zeit.
Ich mag den schmachtenden Gesang der Gondoliere,
die Gigolos auf der Piazza,
die ewig nickenden, gierigen Tauben,
das schwarze Klavier auf dem Markusplatz.
Ich mag den Palazzo Ducale
mit der Bleikammer, in der auch
Casanova einst darbte.
Das Gletto und die Seufzerbrücke.
Ich mag den bronzenen Löwen
hoch auf der Säule
die Tauben bewachend,
die gierig gurrend
die Körner picken,
die die Touristen ihnen mit lockerer Hand
vor die ewig nickenden Köpfe streu’n.
Ich mag die Stadt der Liebenden und Verführer,
der Herzöge und Verbrecher,
der Künstler und Kirchenleute,
der Händler und kleinen Leute.
Und ich mag –
die Questura von Commissario Brunetti.

Oh Venedig, du Königin der Meere,
du Mekka der Händler und Abenteurer,
der heiligen Gebeine und der geraubten Schätze,
Ort der Hoffnung und der Verzweiflung.
Deine tausendjährige Geschichte
weht uns an
auf jeder sonnendurchglühten Piazza
und auf den dunkelsten Kanälen.
Ich mag die Rialtobrücke,
den Markt mit den bunten Blumen,
mit dem überteuerten Obst und Gemüse
und all dem touristischen Kitsch.
Ich mag die Restaurants und Bars,
die Cafès und Trattorias.
Und den Weißwein,
den auch der Commissario trinkt.

Venedig, du alte Geliebte,
du Sehnsuchtsort und verlorenes Paradies,
verfallen, zerstört,
die Luft verpestet durch Vaporettos,
und Chemieabgase.
Die Fundamente der Paläste zerstört
durch schlammig-giftiges Kanalwasser.
Noch bist du nicht untergegangen,
erdrückt von Touristenmassen,
aufgefressen von Gier und Kommerz,
von Geldwäsche und Korruption.
Noch gibt es Tage
im Winter und Herbst,
da gehört Venedig den Flaneuren,
den Kunstliebhabern und Müßiggängern.
Im Dom das Ave Maria einer
dunklen Frauenstimme.
Vor der Kirche ein Bettler
an seiner Geige zupfend.
Die Sonne bricht durch
glitzernd auf dem Acqua alta,
wo Einheimische und Besucher
in Gummistiefeln
über die Holzplanken gehen.
Kein Krieg hat dich vernichtet,
die Vandalen dich nicht zerstört.
Du hast überlebt.
Bis jetzt!

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Mai ist gekommen

He, Kopf hoch!
Noch sind wir nicht eingesperrt.
Obwohl über 70.
Quarantäne planen sie.
Zu unserem Schutz natürlich,
sagen sie.
Einkaufsslot von 11- 12.
Zu unserem Schutz natürlich,
sagen sie.
Die Masken tragen sie
für uns Alte.
Zu unserem Schutz natürlich,
sagen sie.
Stoff, der das Atmen erschwert.
Die Worte erstickt.
Sie wollen nicht schuld sein,
wenn wir krank werden und sterben,
sagen sie.
Mit Schuld könnten sie nicht leben,
sagen sie
mit besorgten Gesichtern.
Auch die Enkel sind tabu.
Keine Küsschen, kein Kuscheln.
Keine Märchen auf dem Schoß.
Zu unserem Schutz,
sagen sie,
gehen die Kleinen nicht in die Kita,
die Großen nicht in die Schule.
Krankenhausbetten werden freigehalten.
Für uns, sagen sie.
Zu unserem Schutz.
Lungenmaschinen zur Beatmung.
Lungenmaschinen statt frischer Luft und Sonne
Komm, lieber Mai und mache …
Mache was?
Die Bäume wieder grün.
Uns wieder jung?
Wir wären in ein paar Monaten
sowieso gestorben,
sagt Boris.
In ein paar Jahren sowieso.

Torfkahn

Auf der Wiese ein verlassener Torfkahn.
Schwarz gestrichen, ohne Segel,
auf Vierkanthölzern aufgebockt,
nutzlos.
Der graue Kranich bewegungslos auf der Klampe,
letzter Überlebender der Arche.
Der Knall eines Auspuffs zerreißt die Stille.
Flatterndes Schlagen der langen Flügel,
den Schnabel geöffnet zum heiseren Schrei.
Flucht über das Wasser.
Grau grüne Schlieren
Entengrütze und abgestorbenes Holz.
Hier und da schwarze Löcher
bodenlos
Eckeneckepens Töchter tanzen auf dem Grund
mit grinsenden Schädeln.
Zeugen einer vergangenen Zeit,
unterlegen im Kampf ums Wasser.
Verwesung, Fäulnis und Tod.
Nirgendwo ein Regenbogen.