Archive for the Category Impressionen

 
 

Am Strand von Gelting

 

Wir hocken am Strand auf dem leicht erhöhten hölzernen Strandweg Bretterweg am Rand der Dünen, schauen auf das in der Sonne glitzernde Wasser, in das sich ein paar kälteunempfindliche Schwimmer wagen, beobachten die fröhlichen Kinder, die sich in Sand und warmen Pfützen suhlen und versuchen am Dünenrand, uns unserer Hosen und Jacken unauffällig, zu entledigen und in die Badesachen zu schlüpfen. Da die Öffnungen der Strandkörbe all Richtung Meer und Sonne zeigen, gelingt uns die Umziehakrobatik auch ganz gut, auch wenn ganz schön viel Köperakrobatik nötig ist. Die Jüngsten sind wir ja nun auch nicht mehr, die Beweglichkeit hat dramatisch nachgelassen. Doch wir fallen nicht um, ziehen nicht aus Versehen die Badesachen falsch herum an, vertüddeln die Badetücher nicht in ein unentwirrbares Knäuel. Keiner der Strandgäste wird auf unsere Verrenkungen aufmerksam. Hoffen wir wenigstens.

Plötzlich Frauenstimmen hinter uns. Hinter uns?? Tatsächlich. Zwischen Düne und Holzsteg ist noch ein Sandstreifen frei, wohin zwei Damen einen Strandstuhl und einen Sonnenschirm schleppen. Eine alte Dame mit Rollator steht hilflos und verlegen dabei, bedankt sich pausenlos und man sieht ihr an, wie gerne sie versuchen würde, ihren Klappstuhl selbst auseinanderzufalten und sich hinzusetzen.
„Vielen, vielen Dank“, sagt sie zu der blonden, jüngeren Frau gewandt. „Ich bin Ihnen so dankbar. Aber bitte machen Sie sich nicht noch mehr Mühe“, wehrt sie ab, als die Blonde versucht, den Sonnenstuhl noch ein wenig weiter nach außen zu bugsieren.
„Ich tue das doch gerne, wirklich!“, flötet die Angesprochene. “Ich freue mich immer so sehr, wenn ich helfen kann. Wissen Sie was, ich werde erst einmal Probe sitzen. Nur so können wir herausfinden, ob der Stuhl richtig steht. Wir wollen ja nicht, dass Sie mit ihm umfallen.“
Nee, denke ich. Das wär wirklich nicht wünschenswert. Aber nun lass doch die Frau endlich mal mit deinem süßlichen Gefasel in Ruhe, du Florence Nightingale – Imitat. Die Frau ist alt und gehbehindert, aber doch nicht meschugge. Die Hilfe ist ihr unangenehm, siehst du das denn nicht? Nun geh schon endlich!

Florence Nightingale geht nicht. Sie sitzt Probe. Ist unzufrieden. Sie schiebt den Strandstuhl nach rechts, sie schiebt ihn nach links.
„So könnte es gehen“, sagt sie schließlich und schaut triumphierend auf ihre Begleiterin, die bisher noch kein Wort gesagt hat und nun nickt.
„So ist es gut, gell?“ Wieder die säuselnde Stimme der Blonden. „Warten Sie, ich helfe Ihnen, sich hinzusetzen.“
Die alte Dame sitzt, ehe die selbst ernannte Samariterin zugreifen kann.
„Na, na, das hätte schiefgehen können. Nicht so hastig, alles mit der Ruhe“, sagt meine Therapeutin immer. „In der Ruhe liegt die Kraft!“
„Danke!“, sagt die alte Dame noch einmal. „Das war wirklich nett von Ihnen.“
„Sie müssen lernen, sich helfen zu lassen.“ Die Blonde ist nicht zu stoppen. „Ich weiß, das ist schwer. Aber geben Sie Ihren Mitmenschen doch eine Chance, gut zu Ihnen zu sein. Jeden Tag eine gute Tat, das gilt nicht nur für die Pfadfinder.“ Glockenhelles Lachen, dann tätschelt sie den Arm der alten Frau. „Wissen Sie, ich liebe es zu helfen. Nur dann fühle ich mich ganz.“
Die alte Dame schließt die Augen, nickt resigniert.
„So ist es richtig, meine Liebe. Ruhen Sie sich aus. Ich mache jetzt einen kleinen Spaziergang am Meer entlang, und dann hole ich Sie wieder ab.“
Die zweite Frau hievt ihre Tasche über die Schulter und macht Anstalten, die Blonde zu begleiten.
„Nein“, sagt diese und ihre Stimme wird eine Nuance heller und schriller. „Ich gehe allein. Am Strand muss ich einfach allein sein, um ganz bei mir zu sein. Um mich zu spüren. Da stört jede Begleitung. Jedes Gespräch. Jedes Wort ist zu viel. Nichts gegen Sie, aber beim Rauschen der Wellen muss Ich in mich hineinhorchen, um zu erfahren, wer ich bin. Da stört jeder Mensch neben mir, jedes Wort aus fremden Mund. Da bin ich ganz eins mit meinem Therapeuten. Ich bin da ganz rigoros sein. Wenn ich wieder das Bedürfnus habe, mich mit Ihnen zu unterhalten, sage ich es Ihnen. Aber jetzt müssen Sie mich gehen lassen. Ein Spaziergang am Strand, das ist Therapie pur. Wir sehen uns heute Abend beim Yoga.“
Sie winkt kurz mit der Hand und entschwindet. Nein, nicht ganz. Sie kommt ein paar Schritte zurück und flötet: „Sie kümmern sich doch jetzt sicher um die alte Dame. Sie werden sehen, wie befreiend es ist, gut zu sein und einem bedürftigen Mitmenschen zu helfen. Nur so finden wir zu uns selbst. Sehen Sie mich an!“ Mit diesen Worten schwebt sie von dannen Richtung Meer.
Völlig erstarrt steht die andere Frau neben dem Sonnenstuhl der alten Dame. Und geht dann schnellen Schrittes in die andere Richtung.

 

 

 

 

 

 

Flanieren in Corona – Zeiten

Die Weihnachtstage sind vorbei, der Kühlschrank ist leer. Wir wollen zum Vegesacker Grünmarkt. Ok, nicht die ganze Strecke flanieren, sondern wir nehmen die Ebikes – Gott sei dank sind die Akkus aufgeladen! – und lassen uns die Lesumstraße bis zum Fluss hinunterrollen. Es ist kalt und grau. Böiger Westwind bläst uns heftig ins Gesicht. Es riecht nach Meer. Kreischende Möwen im Sturzflug. Ich friere.
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Costa Caparica

Über die Brücke, natürlich über die Brücke, Salazar-Brücke, nein, natürlich nicht, Brücke des 25. April, Beginn der Revolution, Grandola, Villa Morena, José Afonsos Lied frühmorgens  im Radio,  das Lied als Start für den des Aufstand der Offiziere, Aufbruch in eine neue Zeit,  Nelkenrevolution, unblutig, natürlich, daran ist auch Werner Herzog gescheitert mit seinem Projekt, ein Film über die portugiesische Revolution zu drehen, aber wie kriegt ein Regisseur seine portugiesischen Komparsen dazu, aggressiv zu handeln? Ins Auto setzen, das wäre die einzige Lösung gewesen, erst dann erwacht das Tier im portugiesischen Mann, hat trotzdem geklappt mit der Revolution, trotz »Vive Salazar«- Slogans, die noch lange an den Mauern der Residenzen der portugiesischen Oberschicht zu sehen waren, Diktator weggejagt, Großgrundbesitzer enteignet, Kooperativen im Alentejo, Gerechtigkeit, Brot und Wein für alle, die goldene Zukunft, das Paradies auf Erden, heute in der Algarve der Blick auf die Hotelanlagen ausländischer Investoren.
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Stille Tage am See

Die Zeit steht still. Noch ist es schwierig, die Hektik und Aufregung der letzten Tage zu verdrängen. Der Lärm Lissabons schrillt noch in den Ohren: rasende Taxis, hupende Autos, bimmelnde Straßenbahnen, die Motoren startender und landender Flugzeuge im Minutentakt über den Dächern.
Und hier am See, kilometerweit entfernt von jeder menschlichen Behausung:  Stille. Absolute Stille.


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Ist das alles, was du zu sagen hast?

Cindy Sherman Collection – Weserburg
Bremen 19.5.18 – 24.2.19

Ein Mann läuft durch einen parkähnlichen Garten. Herbstlaub, braune Blätter auf abgeknickten grünen Sträuchern. Die schwarze Erde aufgerissen. Eine Gestalt auf dem Boden – halb Frau, halb Puppe. Der Mann bleibt abrupt stehen, starrt auf die Figur zu seinen Füßen.

Er: Großer Gott, Frau, bist du jetzt völlig übergeschnappt? Was treibst du da? Wenn dich einer so sehen würde.

Sie: Ist das deine größte Sorge? Dass mich jemand sehen könnte? Einer unserer spießigen Nachbarn?

Er: Hast du Drogen genommen oder was? Was soll das? Und dann dieser abartige Plastikarsch!

Er hebt das überdimensionale Hinterteil hoch. Die Beine schlackern nach unten. Angeekelt wirft er das Teil wieder auf den Boden.
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Der Strand von Trafalgar

 

Prohibido El Consumo De Drogas

Sarah treibt auf dem silbernen Strahl bäuchlings Richtung Strand, bleibt im Flachen liegen, den Kopf leicht angehoben, das Kinn auf die Fäuste gestützt. Wellen rollen über sie hinweg, Wasser wie kühle Seide, die Formulierung gefällt ihr. Wo hat sie diese Worte gelesen?
Der Silberstreif der Sonne läuft direkt auf den Leuchtturm zu, wiegt sich auf der grün-blau changierenden Oberfläche, überschlägt sich mit den munter rippelnden Wellen, kriecht als helles Band über dem Sand hoch hinauf auf die Düne und lässt den weißen Turm mit dem gläsernen Lampenhaus im Licht des späten Nachmittags aufglühen.
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Landeanflug

Der Sinkflug durch die Wolken ist lang und ruckelig. Die beiden Flugbegleiter an Bord der Boeing 737 haben die letzten Kaffeebecher weggeräumt, den letzten Müll entsorgt. Die Passagiere hängen angeschnallt in ihren Sitzen und versuchen, durch die trüben Scheiben der Bullaugen das Neuenlander Feld, den schlängelnden Lauf der Weser, ein Stück Landebahn zu erkennen. Schlechte Sicht und Nieselregen hat der Copilot angesagt, also das typische Bremer Wetter, das die Gemüter aller eingefleischten Bremer Bürger aufhellt und ein Lächeln auf ihre Gesichter zaubert.
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Über den Dächern von Istanbul

»Da hinten,  ganz am Rand der Terrasse in der Ecke, da ist noch ein Tisch frei. Schnell, ehe er besetzt ist!«

Ich schubse meinen Mann in die angegebene Richtung. Doch bevor wir unser Ziel erreichen, ist ein Pärchen vom Nebentisch aufgestanden, um den Platz zu erobern. Und wieder passiert etwas, das uns in unseren Istanbul-Tagen immer wieder sprachlos macht. Wir treffen auf eine überwältigende Gastfreundlichkeit. Der junge Mann sieht uns kommen, spricht ein paar Worte zu seiner Begleiterin, verbeugt sich höflich und weist mit der Hand auf den Tisch. »For you!« Wir wollen ablehnen, die Situation ist uns peinlich. Aber keine Chance, das Paar hat schon wieder an seinem alten Tisch Platz genommen. Wir bedanken uns. »Cok tesekkür ederim!« Gut, dass wir wenigstens ein paar Brocken Türkisch gelernt haben. Wir können sie gut gebrauchen. Immer wieder. Das junge Paar lächelt uns an.
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Fahrt übers Marmarameer

 

Schon in der Straßenbahn zur Galaterbrücke ist sie mir aufgefallen, die hübsche Frau mit dem dichten, schwarzen Haar, den breiten Wangenknochen und den freundlichen Augen.
»Günaydin«, sagt der kleine Sohn neben ihr, lacht uns an. Die Mutter strahlt.
»Das hat er wahrscheinlich im Hotel aufgeschnappt«, sagt sie in akzentfreiem Deutsch und streicht dem Kleinen über die Haare. »Hast du gehört«, wendet sie sich an ihren Mann auf der anderen Seite des Mittelgangs. »Addi spricht türkisch! Muss er im Hotel gehört haben. Vielleicht hat einer der Kellner mit ihm geübt.«
»Sie sprechen kein Türkisch?«, frage ich.
»Nein, wir sind aus Hamburg.«
Ich muss wohl ungläubig geguckt haben.
»Na ja, ich bin in Hamburg geboren. Die Kinder auch. Aber ursprünglich kommen wir aus Albanien. Wir sind zum ersten Mal in der Türkei.«
»Wir auch«, sage ich. »Und wir wollen mit dem Schiff auf die asiatische Seite.«
»Da können wir ja zusammen fahren«, sagt die Frau. »Wissen Sie, wo die Schiffe ablegen?«
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