Costa Caparica

Über die Brücke, natürlich über die Brücke, Salazar-Brücke, nein, natürlich nicht, Brücke des 25. April, Beginn der Revolution, Grandola, Villa Morena, José Afonsos Lied frühmorgens  im Radio,  das Lied als Start für den des Aufstand der Offiziere, Aufbruch in eine neue Zeit,  Nelkenrevolution, unblutig, natürlich, daran ist auch Werner Herzog gescheitert mit seinem Projekt, ein Film über die portugiesische Revolution zu drehen, aber wie kriegt ein Regisseur seine portugiesischen Komparsen dazu, aggressiv zu handeln? Ins Auto setzen, das wäre die einzige Lösung gewesen, erst dann erwacht das Tier im portugiesischen Mann, hat trotzdem geklappt mit der Revolution, trotz »Vive Salazar«- Slogans, die noch lange an den Mauern der Residenzen der portugiesischen Oberschicht zu sehen waren, Diktator weggejagt, Großgrundbesitzer enteignet, Kooperativen im Alentejo, Gerechtigkeit, Brot und Wein für alle, die goldene Zukunft, das Paradies auf Erden, heute in der Algarve der Blick auf die Hotelanlagen ausländischer Investoren.
Am Strand von Caparica wälzen sich an sonnigen Sonntagen die Leute aus dem überfüllten Lissabon, auch von den Nebelhügeln des Sintra-Gebirges fallen sie ein und bevölkern die weiten Strände mit ihren Kindern und Kindeskindern, die Taschen vollgepackt mit Brot und Früchten und scharfer Wurst, Bagaco darf nicht fehlen, sonst ist kein Sonntag, in die Kirche gehen die Männer sowieso nicht, das büßen die Frauen mit ein paar »Gegrüßest seist du Maria« ab, wer gegrüßt wird, ist egal, aber grüßen muss man, das haben die Mönche und Pfaffen diesem armen, gebeutelten Volk an der Randküste Europas eingehämmert, sonst ist kein Segen drauf. Die mit mehr Geld in den Taschen – aber nicht genug für ein Haus an der Küste – fallen ein in die Restaurants der Sierra Arrabida, bestellen Hummer und Thunfisch und frisch gebratene Sardinen, der Wein darf nicht fehlen, ach was, Alkohol am Steuer, da kontrolliert keiner, auf die Polizei ist Verlass, die haben noch nicht mal den Duce festgenommen, den studierenden Sprössling eines überreichen Vaters, der seine Kameraden nachts an den Strand führte, die Fußgelenke mit Steinen beschwert, rückwärts mussten sie bei bitterkalten Temperaturen ins Meer kriechen, konnte er wissen, dass eine Monsterwelle im Anmarsch war, konnte er auch nicht, nur Gott weiß alles, und er hat es zugelassen, dass die studentischen Erstsemester wie Katzen ersäuft wurden in den sich zurückziehenden Brechern, nur er, der Führer, der Erbe, der ist nicht ersoffen, der konnte ja die Welle kommen sehen und rennen wie ein Hase und ist nun verschwunden, abgeschirmt, nicht ansprechbar, muss das Trauma verarbeiten, schuldunfähig, wie der hoch bezahlte Psychiatrieprofessor bestätigt, egal wie laut die Presseheinis schreien und schreiben, dafür werden sie ja bezahlt, auch vom Rektor der Privatuni haben sie nur ein kurzes Interview bekommen, was könne er dafür, Initiationsriten gebe es an jeder portugiesischen Uni, auch in Coimbra, aber natürlich, seine Privatuni werde von der eifersüchtigen Meute angegriffen, nur weil seine Studenten etwas wollten, was den anderen schon längst gewährt wurde, auch im Straßenverkehr kommen Leute um, da verbietet man doch nicht das Autofahren, da müsste man die Wellensurfer doch sofort festnehmen, wie leichtsinnig die hinauspaddelten zu den großen Brechern und diese reiten im Rausch der Geschwindigkeit, soll man denn die Mütter bestimmen lassen, die in ihrer alles zersetzenden Ängstlichkeit den Kindern jeden Spaß verderben, hat nicht auch ein Kind das Recht auf seinen eigenen Tod?
Hat doch auch jede Frau ein Recht auf ihren eigenen Schäferhundrüden, der sich vor ihr im Sand wälzt und sein Maul aufsperrt und sich drücken und küssen lässt, direkt ins Maul hinein, er ist schließlich ein Mann und es ist keine Hündin in Sicht, höchstens eine menschliche und deren Lover reitet gerade die Welle ab oder zieht sich einen Joint rein in der Kuhle hinter dem Klohaus. Keine Frau kann einen Mann halten, auf Dauer nicht, den zieht es hinaus in die Welt, das Schiff verschwindet am Horizont, Gold lockt in der Neuen Welt, Gold und Frauen mit brauner Haut und samtenen Augen, beides können sie kriegen, sie metzeln die Männer, vergewaltigen die Frauen, zerstören das riesige Reich der Gottlosen, denn der wahre Gott ist auf ihrer Seite, auf der Seite der Conquistadores, die im Blutrausch töten, was ihnen im Weg steht, zu Ehren Gottes und zu Ehren des Königs, der die Schätze an sich rafft, die sie mitbringen nach Hause, Schiffsladungen von Gold, um in Mafra diese Kirche, diesen klösterlichen Palast bauen zu lassen zu Ehren des höchsten und einzigen Gottes, dessen Halleluja gesungen werden muss, der dem König endlich ein Kind schenkt oder schenken lässt, auch wenn es die Königin ekelt vor dem stinkenden Mann, der sich auf alles wälzt, was ein Loch zwischen den Beinen hat, gelobt sei Gott, der gesagt hat, seid fruchtbar und mehret euch und der die bestraft, die den Jungfrauen die Herzen aus dem lebendigen Leib schneiden, um sie ihrem Kriegsgott Huitzilopochtli zu opfern, was auch nichts nützt, das Reich der Azteken fällt in Schutt und Asche, alles lange vorbei, Geschichte, längst vergessen.
Weiße Wolkenberge am blauen Himmel, Frachter am Horizont, hinter den Dünen das Zeltlager, sieht aus wie für Bootsflüchtlinge gebaut, endlose Reihen von Zelttuchdächern, darunter weiße Wohnwagen, es kann nicht jeder im 5-Sterne-Hotel übernachten, nur an den pompösen Bauten vorbeiwandeln können sie, an Juwelen der portugiesischen Architektur auf der Promenade mit ihren Schnellrestaurants, vor denen die Kinder betteln und jaulen, Pommes und Burger wollen sie, warum auch nicht, Hauptsache, sie sind ruhig, vorbei an den hohen Mauern und Überwachungskameras, wer überwacht hier wen, wo ist die Gefahr von außen oder kommt sie doch von innen, wer will das entscheiden, sicher nicht die Bewohner, die jedes Wochenende, an dem die Sonne aus blauem Himmel hinunter brennt, aus den Käfigen der Hochhäuser an den Strand fliehen, um sich auch dort wieder zu vereinen mit schwitzenden Leibern im Sand: Grandola, Villa Morena.


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