Vila Moura

street of Serpa village,PortugalNur einmal sind sie mit den Kindern am Strand entlanggelaufen. Zum Markt nach Quarteira, im ersten Algarve-Urlaub. Plötzlich Wellblechhütten und zusammengezimmerte Holzhäuser im feuchten Sand. Kilometerlang. Keine Sanitäranlagen. Schwarze Frauen kochten an offenen Feuerstellen, die Eindringlinge misstrauisch musternd. Die duckten sich unter Wäscheleinen durch. Im schlammigen Sand spielten dunkelhäutige Kinder. Ließen Holzstücke in trüben Rinnsalen schwimmen. Starrten die Fremden an. Kicherten. Der Seewind milderte den Gestank nach Abfall und Kloake. Feindselige Blicke der Männer. Touristen im Slumgebiet. Hier wohnten die angolanischen Familien, die vom Bürgerkrieg geflohen waren. Dunkelhäutige Männer, die die Hotels und Apartmenthäuser bauten. Ihre Frauen, die in den Ferienanlagen putzten. Billige Arbeitskräfte

”Quem quiser que o preto faca o trablaho con vontade de-lhe feijao, aguardente…” Wer will, dass der Neger willig arbeitet, der gebe ihm Schnaps und Bohnen“, so lautete der Liedtext auf der Assimil-Sprachlernkassette. Das deutsche Paar zerrte seine Kinder weiter. Die Gesichter gerötet. Sie schauten nicht zurück. Auch wenn ihnen das rote Kinderrad im Sand bekannt vorkam.

 

 

Das darf nicht wahr sein“, Marlies kneift ihr linkes Auge zusammen und presst das andere an den Spalt im Bauzaun. Schaut fassungslos auf das Areal vor ihr.

„Das ist nicht unsere alte Feriensiedlung.“ Sie sieht sich nach ihrem Mann um, der genervt auf die stark befahrende doppelspurige Straße zwischen den hohen Apartmenthäusern zurückschaut, froh, die andere Straßenseite erreicht zu haben, ohne angefahren zu werden.

„Joachim, ich glaub es nicht. Die Häuser sind fast alle zugenagelt“, sagt sie enttäuscht. „ Die Anlage ist vollkommen verwahrlost.“ Sie lässt seine Hand los. „Weißt du noch, wie die Kinder hier Fahrrad fahren gelernt haben?“

Soll er ihr sagen, dass er diese Nostalgie-Anfälle hasst? Dass die „Kinder“ mittlerweile fast vierzig sind. Mit ihrem eigenen Nachwuchs Fahrradfahren üben. Er lässt es bleiben, lässt sich widerstrebend weiterziehen. Ein Durchschlupf im Bauzaun.

„Schau dir das Schwimmbecken an. Voller Schutt und Abfall.“ Marlies tritt nah an den Rand. „Wie oft hat Tobi sein Schiffchen hier schwimmen lassen. Sein Geschrei, wenn der Motor ausging. Die Rettungsaktionen.“

Und dann war das neue ferngesteuerte Boot auf einmal weg. Der Kleine hatte es am Beckenrand liegen lassen. Es wurde nicht abgegeben, weder im Restaurant noch in der Rezeption. Natürlich nicht. Das Schiff blieb genauso verschwunden wie das rote Kinderrad, das die Tochter unabgeschlossen an die Hauswand gelehnt hatte. Oder die Sonnenbrille, die Marlies während eines Tennis-Matches in den Drahtzaun gehängt hatte. Lustiger war vielleicht, dass die Freundin im Ferienhaus nebenan zu Kaffee und Kuchen einlud und dann zehn Minuten später absagen musste, weil ihr Kuchen verschwunden war. Mitsamt der Form. Sie hatte ihn zum Abkühlen nach draußen auf die Terrasse gestellt.
Kinderbanden, die alles mitgehen ließen, was nicht niet- und nagelfest war. In den folgenden Jahren sorgten dann Wachleute mit Hunden für ungetrübte Urlaubsfreuden.
Die ehemals leuchtend weiße Farbe ist abgeblättert. Bretter vor den Türen und Fenstern der Ferienhäuser. Einige Kamine sind zusammengestürzt. Und doch ist die Anlage nicht menschenleer hier. Ein dunkelhäutiger Mann kommt aus einem der zweistöckigen Häuser. Die Schubkarre voller Steine und Bauabfälle.„Bom dia“, grüßt Marlies.

„Bom dia, minha senhora.“ Der Mann bleibt stehen, lächelt freundlich. Sie kramt in ihrem Gedächtnis nach portugiesischen Brocken. „ O centro turistico. As casas brancas. O que aconteceu? Was ist passiert?“

Es gibt keinen Ferienpark mehr, erfahren sie. Aber es wird nicht alles abgerissen. Ein Teil der Häuser steht zum Verkauf.

„Quem vai comprar as casas? Wer kauft die Häuser?“

„Eu, por exemplo“, der Mann lacht, zeigt seine weißen Zähne. „Ich werde hier renovieren und mit meiner Familie einziehen.“

„A minha mulher“, sagt er, als eine rundliche Frau aus dem Haus kommt, das krause schwarze Haar mit einem Tuch zusammengebunden.

„Wollen Sie hereinkommen und schauen?“

Joachim schüttelt verlegen den Kopf.

„Com prazer“, sagt Marlies. „Wir haben vor dreißig Jahren hier oft unsere Weihnachtsferien verbracht. Von Porto aus.“

Die Frau führt sie durch den Rundbogen der überdeckten Terrasse in den Innenraum. Alles unverändert. Marlies betritt den Raum mit der Küchenzeile auf der unteren Ebene, wirft einen Blick auf den Kamin, der an kalten Winterabenden so viel Holz verbrauchte, das sie mit dem Bestellen kaum nachkamen. Sie geht die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Steht auf der Sonnenterrasse, wo man auch im Winter in der Sonne schmoren konnte, vom Wind geschützt. Die Sanitäranlagen in den Badezimmern sind herausgehauen.

„Alles neu“, sagt die Frau. „Tudo novo“, strahlt über ihr ganzes dunkles Gesicht.

„Meine Eltern haben noch am Strand gewohnt“, sagt der Mann zu Joachim. Er braut auf einem kleinen Gaskocher einen starken Kaffee. „In Wellblechhütten. En casas de lata. Wir Kinder sind herumgestromert und haben alles geklaut, was wir kriegen konnten.“

„Um café?“.

“Obrigado”, murmelt Joachim und nimmt den angebotenen Stuhl.

Zu viert sitzen sie auf der schattigen Terrasse.

„Meine Eltern sind damals aus Angola geflohen. Sie haben hier Arbeit gefunden.“ Er schaut seine Frau an. „Uma vida dura.“ Sie nickt, tut viel Zucker in ihre Tasse, rührt um.

„Aber wir haben es geschafft. Ich bin Hausmeister. Caseiro. Habe Arbeit im Hotel. Sichere Arbeit.“ Er lacht stolz.

„Eu trabalho num restaurante.“ Sie arbeite im Restaurant, sagt die Frau. Die zwei Söhne gingen noch zur Schule. Sie sollten eine richtige Ausbildung machen. Vielleicht studieren.

Auf der Fahrt zurück ins Hotel schweigen beide. Die Küste der Algarve ist zu großen Teilen zerstört. Zubetoniert. Es war so romantisch hier vor dreißig Jahren. Die kleinen einsamen Buchten. Fischerdörfer, in denen die Familien noch vom Fischfang lebten. Als die Küsten noch nicht leergefischt waren.

Der portugiesische Hausmeister und seine Frau werden der Vergangenheit keine Träne nachweinen. Ihre Söhne sicher auch nicht.

6088 Zeichen


Tags:

 
 
 

Schreibe einen Kommentar