Am Teufelsmaar

„Kenebelnnst du die Sage vom Weinfelder Maar?“, Sadet bettet ihren Kopf in seinem Schoß und schaut lächelnd zu ihrem Begleiter auf.

„Nein, mein Schatz, bis jetzt noch nicht“, sagte der ältere Mann und streicht seiner jungen türkischen Begleiterin sanft über die schwarzen Locken. „Aber wie ich dich kenne, wirst du sie mir erzählen.“

Sie schließt die Augen. Wie schön ist es, mit ihm zusammen auf der blühenden Sommerwiese zu sitzen. Unten im Kessel von Trier stöhnen die Menschen unter der Hitze, aber sie haben sich mit dem Fahrradbus von Bernkastel-Kues nach Daun bringen lassen, um gemächlich auf der ausgebauten ehemaligen Bahntrasse die 58 km zurück ins Moseltal zu radeln. Picknick am Weinfelder Maar. Sie kennt ein lauschiges Plätzchen. Die Luft klar und lau. Ein leichter Wind schiebt die Sommerwolken über den Himmel. Sie hat kämpfen müssen für dieses gemeinsame Wochenende. Frederik ist so viel ängstlicher als sie. Er gibt im SommerMalkurse an der Kunstakademie in Trier. Dort haben sie sich vor einem Jahr kennengelernt. Am Wochenende fährt er normalerweise heim zu Frau und Kindern nach Dortmund. Aber es hat sofort gefunkt zwischen ihnen, und Sadet genießt die Erfahrung und den Charme ihres erfahrenen Liebhabers, der so anders ist als die angeberischen türkischen Kindsköpfe, die ihr sonst den Hof machen.

„Das Weinfelder Maar heißt im Volksmund Totenmaar.“

„Welch gruseliger Name“, Frederik schluckt kurz, lacht dann. „Doch hoffentlich nicht: Nomen ist Omen?“

„Bist du abergläubisch?“

Frederik schüttelt den Kopf. „Natürlich nicht, Liebes. Ich bin so glücklich, hier mit dir sein zu können.“ Dabei fühlt er sich ziemlich unwohl. Marie wird ausrasten, wenn sie herauskriegt, dass er sie wieder betrügt. Nach der letzten Affäre hat sie ihm gedroht, sie werde seine Eskapaden nicht länger mitmachen. Er solle sich in Acht nehmen. Aber er braucht Marie. Von den paar Bildern, die er im Laufe eines Jahres verkauft, kann er nicht leben. Hat halt keine Maschinenfabrik geerbt. Gehört nicht zum Industrieadel des Ruhrgebiets. Deshalb bietet er ja auch diese Sommerkurse an der Europäischen Kunstakademie an. Die rassige Sadet hat es ihm sofort angetan. Ein anderer Schlag als die üblichen Malweiber. Feurig und draufgängerisch. Eine nette Abwechslung. Er muss nur aufpassen, dass es nicht zu ernst wird. Dass die junge Frau sich Hoffnungen macht.

„An der Stelle, wo de jetzt den See sieht, lag einst ein wunderschönes Schloss“, fährt Sadet fort.

„Und der Graf lebte dort mit seiner hartherzigen, lieblosen Frau.“

„Du meinst, eine Xanthippe wie meine“, versucht Frederik zu witzeln.

„Ja, stimmt“, sagt Sadet. „Du sagst doch immer, sie verstehe dich nicht. Sei kalt und abweisend. Nicht so wie ich.“

„Du bist unübertroffen“, sagt Frederik und küsst sie.

„Und sie hatten ein Kind, einen kleinen Jungen, der noch in der Wiege lag. Ist deine Frau eine gute Mutter?“

„Na, es geht“, sagt Frederik. Eigentlich ist es ihm peinlich, seine Frau schlechtzumachen. „Sie hat wenig Zeit für die Kinder. Ist halt eine Karrierefrau.“

„Wenn wir erst einmal ein Kind haben, Frederik, werde ich ganz für das Baby da sein.“

„Was sagst du da“, stottert Frederik. Das Gespräch nimmt eine Wendung, die ihm gar nicht behagt. „Was für ein Kind?“

„Aber Liebster, nun erschreck doch nicht sofort. War ja nur eine Testfrage“, Sadet lacht und gleitet mit der Hand seinen Bauch hinunter bis zum Rand seiner Badehose.

„Aber hör weiter zu. Eines Tages, als der Graf von einem Jagdausflug zurückkommt, ist das Schloss verschwunden. Einfach weg. Und mit ihm das ganze Dorf. Begraben unter Wassermassen. Der Graf springt vom Pferd, rennt am Ufer auf und ab, rauft sich die Haare, weint herzergreifend und bittet Gott um Barmherzigkeit.“

„Das ist ja eine dramatische Geschichte“, sagt Frederik und phantasiert, wie es wäre, wenn seine Villa in Dortmund mitsamt seiner Frau eines Tages einfach verschwunden wäre. Marie wird in letzter Zeit immer schwieriger. Was erwartet sie eigentlich? Dass es im Bett immer noch so klappt wie vor 20 Jahren? Meine Güte, er ist älter geworden genau wie sie. Zwar ist sie immer noch eine elegante, attraktive Frau, der Mittelpunkt in jeder Gesellschaft. Er ist stolz auf sie, aber die getrennten Schlafzimmer sind für ihn eine Erlösung. Erst in Sadets Armen kann er sich wieder als Mann fühlen. Auch wenn er immer wieder heimlich mit Viagra nachhelfen muss.

„Hörst du mir überhaupt zu?“, hört er die junge Frau fragen. Ihre Hand hat sie Gott sei Dank weggenommen. Hier in freier Natur, auf der Decke zwischen Ameisen, die sich über die Reste des Picknicks hermachen, nein, da kann einem als Mann ja alles vergehen. Außerdem könnte jemand vorbeikommen.

„Soll ich die Geschichte nun erzählen oder nicht?“ Sadets Stimme klingt leicht gereizt.

„Natürlich, meine Liebe, ich höre dir doch zu!“

Sadet wirft ihm einen zweifelnden Blick zu, fährt aber fort. „Als der Graf so schluchzend am Ufer steht, sieht er plötzlich ein Bettchen auf dem See schwimmen. In seiner Wiege wird sein kleiner Sohn sanft von den Wellen geschaukelt. Der Graf ist so überglücklich und dankbar, dass er auf die Knie sinkt und Gott dankt für das Wunder. Und er erbaut am Seeufer die kleine Kapelle, die du dort drüben sehen kannst.“ Sie weist mit dem Finger auf das kleine Kirchlein neben dem Friedhof, auf dem die Schalkenmehrener heute noch ihre Toten bestatten.

„Eigentlich hat der Graf doch richtig Glück gehabt. Die böse Frau ist weg, aber sein Kind ist gerettet“, schließt Sadet die Geschichte ab. Frederik schweigt und sie fügt hinzu:“Nach der Scheidung können deine Kinder auch bei uns wohnen. Ich werde gut für sie sorgen.“

Er muss den Träumereien der jungen Frau Einhalt gebieten. Eine Scheidung kommt für ihn überhaupt nicht in Frage. Schon aus finanziellen Gründen nicht.

„Ich liebe dich. Ich möchte mit dir leben.“

Frederik wird aus seinen Gedanken gerissen. Was hat sie gesagt? „Ach, ja, ich auch. Das wäre schön.“

„Wieso wäre? Warum tun wir es nicht? Du hast doch gesagt, dass du und deine Frau, dass ihr gar nicht mehr miteinander schlaft.“

„Ja aber, aber… Ich kann doch nicht einfach. .. Nein, nein, und da sind noch die Kinder. Nein, das kann ich ihnen nicht antun.“ Hoffentlich verdirbt sie uns jetzt nicht das Wochenende, denkt er und sieht sie bittend an. „Das musst du verstehen. Vor allen Dingen nicht so schnell…“

„Schnell? Wir kennen uns seit einem Jahr. Meine Eltern werden misstrauisch, wollen dich kennen lernen. Ich bin die Heimlichtuerei satt. In der Öffentlichkeit tust du so, alswürdest du mich nicht kennen. Das ist ziemlich demütigend.“

„Aber, Liebling, lass mir noch ein bisschen Zeit. Du bist jung und unabhängig, aber ich bin in so viel Zwängen gefangen…“

„Papperlapapp, in Zwängen gefangen. Du willst nur nicht.“ Sadets Stimme wird höher. „Du liebst mich nicht wirklich. Ich bin für dich nur ein Zeitvertreib.“ Tränen rinnen ihr übers Gesicht.

Er streicht ihr übers dichte lockige Haar, redet besänftigend auf sie ein. „Du weißt, dass das nicht stimmt, was du sagst. Ich liebe, du hast meinem Leben wieder einen Sinn gegeben. Nur mit dir fühle ich mich lebendig.“

„Aber warum…“

„Sadet“, eine leichte Ungeduld ist in seiner Stimme zu hören, „wir haben schon so oft darüber gesprochen, verdirb uns nicht diesen schönen Tag. Wir werden eine Lösung finden, hab doch ein wenig Geduld.“

„Geduld, Geduld. Das sagst du immer. Wann redest du endlich mit deiner Frau? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass sie nicht merkt, dass etwas nicht stimmt. „

„Sadet, Liebes, bitte. Ich kann ihr das im Moment nicht antun. Die Kinder werden flügge, Marie ist in den Wechseljahren, nein, nein, das wäre zu viel für sie. Das kann ich nicht verantworten.“

„Aber du kannst verantworten, mir wehzutun. Du kannst verantworten, mich immer wieder zu demütigen. Weißt du was, wenn du es nicht kannst, ich kann es. Ich werde mit deiner Frau reden.“

„Was?“ Er springt auf. „Das wirst du nicht tun. Das ist allein meine Sache.“

Auch sie ist aufgestanden und blickt ihn wütend an. „Du wirst dich wundern, was ich alles kann, Herr Kunstprofessor. Ich spiele nicht mehr mit. Entweder sprichst du mit deiner Frau oder ich sage es ihr.“ Sie zückt ihr Handy. „Wir können das auch sofort erledigen.“

„Nein, bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Er packt ihre Handgelenke, will ihr das Handy entreißen. Sie wehrt sich.

Und dann steht plötzlich der Tod vor ihnen. Eine schwarze Kapuzengestalt. Den Revolver in der Hand.

Trotz intensiver Suchaktionen in den nächsten Wochen bleiben sowohl der Dozent Frederik Schenk als auch seine Studentin Sadet Üksel verschwunden. Ehrenmord, spekuliert der zuständige Kommissar. Der Auftragsmord einer gekränkten Frau, lautet eine andere Theorie.

Aber das Totenmaar gibt seine Leichen nie mehr her.


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