Allwetterbad
Die Schiebetür zum Schwimmbereich geht automatisch auf. Der Lärm schlägt mit voller Wucht zu. Lachende und kreischende Kinder toben im Warmbecken, werfen sich bunte Bälle zu, tauchen ab nach Ringen am Beckenboden, kommen keuchend wieder an die Oberfläche, prusten sich Wasser ins Gesicht. Kleine Jungen reiten wie Cowboys auf ihren Schaumstoffschlangen, kämpfen mit verbissenen Gesichtern, versuchen sich gegenseitig hinunterzuziehen. Der Verlierer taucht lachend auf, warte, das wirst du mir büßen! Der Kampf beginnt von vorne.
Für Geburtstagskinder ist im Bistrobereich am Beckenrand ein großer Tisch gedeckt mit Pappbechern, Papptellern, roten Luftschlangen. An den Stühlen steigen heliumgefüllte Luftballons in die Luft, das Geburtstagskind sitzt auf einem Königsthron mit einer goldenen Krone auf dem Kopf. Eifrige Mütter und Väter wuseln um die Kinder herum, schneiden Schokoladenkuchen auf, schütteln Limonade in Becher.
Ich kann schneller rutschen als du, sagt ein kleines Mädchen zu dem Geburtstagskind und im Nu rennen sie die Treppe zur Riesenrutsche hinauf. Erst Kuchen essen, ruft eine junge Frau hinterher, aber das hören sie nicht. Wie die wilde Jagd kommen sie aus der Röhre gesaust, juchzend und schreiend. Das Wasser spritzt auf, wie junge Hunde paddeln und tauchen die Kinder an den Rand.
Am Babybecken sitzen plaudernde junge Mütter, haben die Ärmchen ihrer Kleinkinder in überdimensionale Schwimmflügel gesteckt oder schieben sie in Gummireifen hin und her. Heimlich vergleichen sie die Entwicklung des eigenen Kindes mit dem der Freundin. Sie trösten, verhandeln, verteilen Plastikenten und Schiffchen. Sie reden und reden, mit der Freundin, mit der Mutter neben ihnen, sie sind so froh, für eine Weile der Einsamkeit und Langeweile der eigenen vier Wände entkommen zu sein.
Der Bademeister schreitet ein, als zwei Halbwüchsige am Beckenrand Fangen spielen, mit einem Hechtsprung ins Schwimmerbecken tauchen.Eine ältere Dame mit Badekappe, die stoisch ihre Bahnen schwimmt, wird mit einem Schwall Wasser überschüttet. Es ist verboten, vom Beckenrand zu springen, sagt der Bademeister. Die beiden Jungen schauen schuldbewusst, murmeln eine Entschuldigung, verschwinden im Draußen-Becken. Kritisch schaut der Bademeister ihnen nach, wendet sich aber dann wieder seiner Kollegin zu. Plaudernd setzen sie sich auf eine Bank.
Der gellende Schrei einer Frau: mein Kind, mein Kind.
Die Eltern am Babybecken sind aufgesprungen. Ein Arzt, ein Arzt, schnell ein Arzt. Und dann rennt einer der Bademeister durch das Schwimmbad, ein kleines Kind in den Armen, das sieht ganz wächsern aus: Arme und Beine blau angelaufen, der Kopf baumelt herunter, die Augen sind geschlossen. Er hetzt in die Bademeisterkabine, die Mutter hysterisch schreiend hinterher. Die Glastür wird zugeschlagen. Neugierige drücken ihre Nasen platt an der Scheibe, verfolgen die Wiederbelebungsversuche auf der Liege.
Da ist wohl ein Kind verunglückt, sagt die Mutter des Geburtstagskindes schockiert und hält die Kinder zurück, als auch die zur Glaskabine rennen wollen. Ein Mann dreht sich um und sagt: Das Kind ist ertrunken, weil die Mutter vor lauter Gequatsche mit der Freundin nicht aufgepasst hat. Die Frau schreit den Mann an und sagt, er solle den Mund halten. Und vielleicht habe das Kind ja nur kurz im Wasser gelegen und könne wiederbelebt werden. Und dann hört man Motorengeräusche und sieht durch die große Glasscheibe einen rot-weißen Hubschrauber auf der Wiese landen, mit einem Kreuz an der Tür. Zwei weiß gekleidete Männer rennen mit einer Trage ins Gebäude, rennen nach kurzer Zeit mit der Trage wieder hinaus, schieben sie in den Hubschrauber, springen hinein, schlagen die Türen zu. Die Rotorblätter drehen sich die ganze Zeit, der Pilot hebt ab, jede Minute ist kostbar. Der Hubschrauber steigt senkrecht hoch und fliegt dann schräg. Den Geburtstagskindern schmeckt der Kuchen nicht mehr.
Ist das Kind tot?, fragt ein kleines Mädchen. Bestimmt nicht, sagt die Mutter und streicht ihm über den Kopf. Es fliegt jetzt ins Krankenhaus. Da sind Ärzte, die machen es wieder gesund.
Tags: