Zoom – Lust oder Frust?

 

Szene 1

Schreibworkshop an der VHS Hannover. Bisschen weit weg von Bremen, aber es gibt ja Zoom.
Thema: Wie mache ich ein Kinderbuch? Ja, das möchte ich wissen. Habe gerade für meine vier Enkeljungs ( 7, 8, 9, 14) einen Krimi geschrieben, den kein Verlag will. Obwohl doch meine Kerlchen so begeistert waren. Wahrscheinlich, weil ich ihre Namen verwendet habe. Vier Freunde. Irgendwas ist falsch gelaufen. Klar, ich bin nicht Enid Blyton. Aber einen Hund gibt es mittlerweile auch in unserer Familie.
Ich brauche professionellen Rat. Der Zoom-Link zum Chatroom kommt per Mail, ich klicke ihn an, bin drin! Nette Moderatorin, sechs Teilnehmerinnen, alle viel jünger als ich. Mein Schicksal! Mein technikaffiner Liebste – der damals in der Schule sogar Informatik unterrichtet hat – hat mir alles eingerichtet, ist aber nun im Garten verschwunden. Klappt alles, hat er gesagt. Nach der Begrüßung und weiteren 10 Minuten, in denen die Moderatorin auf einem Whiteboard ihr Programm vorstellt, ist auf einmal alles weg: die Moderatorin, das Whiteboard, die anderen Teilnehmerinnen. Nicht nur ich, alle sind weg. Ich höre und sehe ich gar nichts mehr. Ich rufe, ich brülle, ich bin dabei, den Computer in den Garten zu schmeißen. Mein Mann rast die Treppe hoch.
»Stopp! Tu`s nicht! In unserem ganzen Stadtteil ist die Internetverbindung zusammengebrochen. Der Nachbar sagt, ein Laster sei in eines dieser grauen Kästen am Straßenrand gefahren. Totalschaden!«
Konsequenz: Der Traum vom erfolgreichen Kinderbuch ist ausgeträumt.
Frust!

 

Szene 2

Die Volkshochschule wird dichtgemacht. Der Präsenzunterricht mit Maske war sowieso ein Alptraum. Fremdensprachenunterricht mit Mundschutz. Das soll mal jemand versuchen. Die englischen Worte sind nur mit viel Phantasie zu erraten. Und dann noch die Kälte, die durch die Fenster hineinströmt. Die müssen ja geöffnet bleiben. Wegen der Frischluft. Wer jetzt kein Corona kriegt, kriegt Grippe. Garantiert! Oder gibt`s die nicht mehr?
Aber das vom LKW ramponierte Internet-Häuschen ist repariert. Mein Liebster hat mich überredet, es noch einmal zu versuchen.
»Aber nur ein Versuch«, sage ich. Mein Puls ist auf 200, ich schwitze. Denn ich soll ja nicht nur an einem Chat teilnehmen, nein, ich soll die Moderation übernehmen. Es wird ein Fiasko werden. Am besten gehe ich gleich ins Bett und stecke meinen Kopf unters Kissen.
»Ich bleibe bei dir«, sagt mein Liebster. Der hätte auch besser seine attraktive Physikkollegin heiraten sollen. Die würde wenigstens verstehen, was er erklärt. Und immer wieder erklärt. Muss ein guter Lehrer gewesen sein. Sich so oft wiederholen zu können und immer wieder in diese leeren Augen der Mädchen zu gucken, die sich überlegen, ob er eine lange Unterhose anhat. Nicht lachen, ich spreche aus Erfahrung. Unser Physiklehrer damals riss immer alle Fenster auf. Auch im Winter. Ob der wohl eine lange … ???
Komischerweise klappt die Verbindung. Ich komme in den Chatroom, schicke eine Mail an meine zehn Teilnehmerinnen, deren Namen erscheinen tatsächlich am rechten Rand des Bildschirms. Ich lasse sie eintreten und die Videos mit ihren Gesichtern erscheinen. Ich kann sogar ihre Stimmen hören. Und sie hören mich. Gibt`s denn sowas? Ein Wunder!
»Good morning everybody. It`s so nice to see you all again.«
Strahlende Gesichter. Erleichterte Gesichter. Im Hintergrund kriechen noch ein paar Ehemänner über den Teppich. Die Helfer in der Not. Retter in einer für uns Ladies existentiell bedrohlichen Situation. Ab und zu geht noch eine Tür im Hintergrund auf, ein fragendes Männergesicht, die jeweilige Angetraute verscheucht es mit einer Handbewegung. »Kann alleine!«
Das sagte meine zweijährige Tochter auch immer, wenn ich sie anziehen wollte. »Kann alleine.«
Lust!

 

Szene 3

Gestern Abend Portugiesischkurs. Der erste nach langer Zeit. Zwar hatte ich vor ein paar Monaten eine große Klappe, halte auch immer noch die Corona – Todeszahlen für übertrieben, hasse die Beschneidung meiner Rechte, hatte und habe aber – wie fast alle anderen auch – Angst, mich anzustecken. Ich fuhr also im Oktober nicht zum erlaubten Präsenzunterricht mit Maske in die VHS, habe aber Maria de Conceicao Vieira de Barros Pinto vorgeschlagen, den Unterricht digital fortzuführen. Maria de Conceicao – bestimmt 30 Jahre jünger als ich, ihre Tochter ist so alt wie mein Enkel –  hat entsetzt abgewunken.
»Kann ich nicht. Will ich nicht. Die Teilnehmer sowieso nicht!«
Prima, dachte ich und ein beglückendes Gefühl breite sich in mir aus. Die jungen Leute haben genauso viel Muffensausen wie ich.
Es dauerte fast drei Monate, und nun ist Maria de Conceicao wieder da. Auf Zoom! Denn die Volkshochschule ist wieder im Lockdown. Maria ist angewiesen auf ihr Honorar, das bisschen Almosen von der Bremer Bildungsbehörde reicht nicht.
Ich bin ohne Probleme in den Chatroom reinkommen. Unsere Portugiesisch – Gruppe hat sich stark reduziert ob der digitalen Zumutung. Zwei fitte Männer (natürlich!) und eine sprachbegabte Französischlehrerin mit portugiesischer Schwiegertochter, die anderen Teilnehmer haben sich abgemeldet. Es wurde ein  vergnüglicher Abend. Ich habe schon lange nicht mehr so viel Portugiesisch genuschelt. Und gelacht.
Und was mich völlig umgehauen hat, einer der Teilnehmer ist katholischer Priester. Und der sagte ganz lässig, er hoste mindestens fünf Zoom-Konferenzen pro Woche. Neulich sogar über 500 Leute. Ich frage mich immer noch, wie klein die auf dem Bildschirm ausgesehen haben.
Trotzdem: eher Lust als Frust!


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