Von Schwiegermüttern und Leierschwänzen

Das häusliche Leben der Menura ist außerordentlich friedlich und liebevoll…. Der Frau fällt die gesamte Verantwortung für den Hausbau und die Sorge um die Nachkommenschaft zu. Die Pflicht des Mannes ist es, den Nahrungsvorrat vor Eindringlingen zu schützen und seine Frau und seine Kinder zu belustigen und zu unterhalten.
Ambrose G.H. Pratt, Menura, prächtiger Vogel Leierschwanz, Berlin 2011, S. 57

Unsere Söhne sollten anders werden als ihre Väter, das stand von vorneherein fest. Aber spätestens in der Pubertät gaben wir im Emanzipationskampf stehenden Mütter genervt auf. Nein, die jungen Herren räumten nach wie vor den Tisch nicht ab nach dem Essen. Nein, sie holten die Limonadenflaschen nicht aus dem Keller. Nein, sie trugen nicht die angebrochene Milchtüte zum Kühlschrank zurück. Mit 18 machten sie den Führerschein, liehen sich unsere Autos aus, parkten sie mit leerem Tank vor der Tür, pinkelten weiterhin im Stehen, putzten nie, räumten nie auf und konnten – trotz nachweislich technischer Begabung – die Waschmaschine nie bedienen. Mit Charme und Unverfrorenheit sorgten sie dafür, dass »Hotel Mama« ihnen Tag und Nacht offen stand, ihnen und ihren Freundinnen, die sie zu später Stunde in ihre Betten schmuggelten. Doch wir vergötterten sie, unsere netten, großen Jungs, und unser Zorn verrauchte, wenn sie »Schuldigung, Mama!« sagten, uns in den Arm nahmen und uns anstrahlten mit diesem offenen Lächeln, mit dem sie uns schon als Kleinkinder um den Finger gewickelt hatten.

Und nun sind sie erwachsen, haben einen festen Job, eine Frau und produzieren uns die sehnlich erwarteten Enkelkinder. Alle süß, gut erzogen und vor allen Dingen: allesamt hoch begabt. Und wo ist das Problem, werden Sie fragen. Da hat sich doch alles zum Guten gewendet. Weit gefehlt! Unsere egoistischen, charmanten, ehemals das Leben in vollen Zügen genießenden Söhne sind zu Leierschwänzen mutiert. Sie kennen doch den Leierschwanz, diesen australischen Singvogel, dessen einzige Aufgabe es ist, für Nahrung zu sorgen und sein Weibchen zu bezaubern, wenn sie auf dem Ei sitzt.
Zugegeben, die Frauen, die sie sich gesucht haben, sind ausnahmslos wunderhübsch. Der Sohn balzt. Schöne Frauen seien halt anspruchsvoll, haben sie uns belehrt. Kaum ist das Baby da, hören die jungen Frauen auf zu arbeiten. Nicht acht Wochen oder so wie wir, gottbewahre, ein, zwei Jahre müssen schon drin sein, und dann kommt das nächste Kleine.
»Ich werd doch meine Familie ernähren können«, sagt der junge Ehemann, und ich stelle verblüfft fest, dass ich diesen Spruch zum letzten Mal von meinem Vater gehört habe, dem es peinlich gewesen wäre, wenn meine Mutter hätte arbeiten müssen. »Was sollen denn da die Leute denken?«
Okay, Gewaltenteilung, versuche ich mir einzureden wie alle meine Freundinnen um mich herum. Der Mann arbeitet, wie in den guten, alten Zeiten, und die Frau bleibt zu Hause und huldigt den drei Ks: Kinder, Küche, Kirche. Weit gefehlt! Nachdem sie sich helikopterartig im ersten Jahr um das Baby gekümmert hat – niemand durfte es anfassen, füttern oder auch nur aus dem Bettchen heben, vor allen Dingen nicht die Schwiegermutter-, entdeckt die junge Mutter nach und nach die Freuden des aushäusigen Lebens, und zwar eines Lebens ohne Arbeitsstress. Und das Wunder passiert: Der junge Vater wickelt das Kind, gibt nachts das Fläschchen, kauft am Wochenende ein, kocht das Abendessen oder isst die Reste der angelutschten Nudeln auf, klaglos und ohne von einer scharfen, weiblichen Stimme dazu aufgefordert zu werden. Manch junger Vater verlegt seinen Arbeitsplatz ins Haus, damit er Job und Kind besser organisieren kann. Also hat die Erziehung doch geklappt, die Macho-Väter sind abgeschafft, unsere Söhne haben eine erstaunliche Metamorphose durchlaufen. Wie jener australischer Vogel klappen sie ihren Schwanz über den Kopf und flöten: »Was möchtest du zum Frühstück, Schatzi?«

»Was findet er nur an ihr?«, sagen die aufgebrachten Söhne-Mütter, auch wenn sie wissen, dass er Vater und Mutter verlassen wird und »seinem Weibe anhangen«, weil das so in der Bibel steht. »Mein armer Junge, der arbeitet sich nochmal tot. Haushalt und Kinder und Job. Was macht s i e eigentlich den ganzen Tag?« Und wir schauen traurig in unseren Latte Macchiato, tauchen sorgfältig den langen Löffel in den Schaum und bedauern, dass wir die Schwiegertöchter nicht haben aussuchen dürfen. »Seine erste Freundin, die war soo nett! Und ihre Mutter erst! Wir haben uns ganz prima verstanden.«
Ja, wenn alles rückwärts geht, vielleicht kommt die Zeit der arrangierten Ehen zurück. Und dann zieht die junge Frau ins Haus des Bräutigams, in der die Schwiegermutter das Sagen hat. Viele Kulturen praktizieren diese Form des Zusammenlebens doch recht erfolgreich. Schade, dass das bei uns nicht klappt!
»Übrigens, hast du damals dein Baby deiner Schwiegermutter gegeben?«, frage ich eine meiner Freundinnen. »Dieser alten Hexe doch nicht!«, war die Antwort. Kann ich gut verstehen.


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One Response to “Von Schwiegermüttern und Leierschwänzen”

  1. Gravatar of Schlicht,Ina Schlicht,Ina
    26. Oktober 2015 at 22:40

    Der Text hat mich gut unterhalten, amüsiert. Was will man mehr!!! Ist doch gut, wenn unsere Söhne sinnvoll beschäftigt sind und nicht uns Schwiegermütter als preiswerte Babysitter einplanen, schließlich haben wir Omas uns ja auch verändert.
    Auch was Aufbau und Stil anbetrifft eine gelungene Geschichte – mein Kompliment!,

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