The Three Frustrated Women of Venice

Ob es wirklich eine gute Idee war, diese gemeinsame Studienfahrt nach Venedig? Zweifel bewegten Adriane schon im Flugzeug. Gewiss, sie waren die Unzertrennlichen Drei, damals auf dem Mädchengymnasium in Bonn. Aber welcher Teufel hatte sie geritten, 30 Jahre nach ihrem Abitur bei der feuchtfröhlichen Wiedersehensfeier zu beschließen, noch einmal gemeinsam eine Reise zu machen. Diesmal nicht in eine Jugendherberge auf einer der Ostfriesischen Inseln, nein, das war vorbei, sie waren immerhin wohlhabende, kulturell interessierte Frauen in den Vierzigern. Ein bisschen Luxus musste sein, das hatten sie sich schließlich verdient. Sie buchten eine Studiosus-Reise nach Venedig. Teuer, aber der Preis garantierte luxuriöse Hotels, ausgezeichnetes Essen in gepflegtem Ambiente und eine kompetente Reiseleitung, die ihnen die Kunstschätze der Stadt näherbringen würde, ehe sie endgültig untergingen unter dem Ansturm der ungebildeten Massen, die auf riesigen Kreuzfahrtschiffen oder mit Hilfe sogenannter Billiganbieter Venedig überschwemmten und die einheimische Bevölkerung vertrieben. Im Flughafen Bonn-Köln die erste Enttäuschung. Wegen technischer Probleme – und das bei einer Lufthansa-Maschine! – konnten sie erst mit fünfstündiger Verspätung starten.
»Früher flog immer ein Techniker mit. Da wäre sowas nicht passiert«, sagte Franziska, fuhr mit den Händen durch ihre weißblonden Locken und nahm Kamm und Lippenstift aus der Gucci-Tasche.
»Kein Techniker, ein Flugingenieur flog mit», sagte Adriane, die schon in der Schule alles besser wusste. »Und der hätte dann natürlich das Flugzeug repariert. Möglichst im freien Fall oder wie stellst du dir das vor?« Sie ging zur Bar und bestellte für alle drei ein Glas Champagner. »Für die gute Laune!«, sagte sie.
»Ein halber Tag verloren!« Dorothea schob den Champagner zurück in Richtung Adriane, blickte auf die Uhr und runzelte die Stirn. »Wir kommen erst abends an. Und das bei fünf Tagen! Ich werde mich beschweren und Geld zurück verlangen.»
»Das ist prollig, Doro«, sagte Franziska entschieden. »Das tun wir nicht. Da bekommst du lächerliche 100 Euros zurück. So what! Diese Geldfuchserei ist einfach peinlich.«
Franziska hat gut reden, dachte Adriane. Mit ihrem großen Busen und dem Stroh im hübschen Kopf hatte sie sich frühzeitig einen reichen Amerikaner geangelt, viel älter als sie, und der hatte auch erwartungsgemäß nach ein paar Jahren das Zeitliche gesegnet. Kein Wunder, dass sie keine Geldprobleme hatte.
Dorothea hatte sich auch früher nie für Jungen interessiert, lag lieber unter ihrem alten VW-Käfer und reparierte daran herum. Ihre Stimme war tief und ein bisschen rau, sie rauchte hin und wieder ein Zigarillo, konnte reiten wie der Teufel und trug im Gegensatz zu ihren Freundinnen immer praktische Turnschuhe oder Lederstiefel, wenn das Wetter schlechter wurde. Trotzdem war sie auf eine jungenhafte Art attraktiv, mit einem schlanken Körper, feingeschnittenen Zügen und einem Wust von scharzen Haaren gesegnet. Ob sie wohl mit einer Frau zusammenlebte?
Adriane selbst neigte zum Dickwerden. Erbittert kämpfte sie gegen ihre Pfunde. Sie war nicht unattraktiv, das wusste sie, aber nach zwei Scheidungen hatte sie erst einmal die Nase voll von Männern. Obwohl … obwohl in einer Reisegruppe von gebildeten, wohlhabenden Teilnehmern wie bei Studiosus, da könnte doch der eine oder andere attraktive und gebildete Mann dabei sein, der vielleicht auch auf der Suche nach einer warmherzigen, molligen Frau war. Natürlich war Adriane klar, dass sie sich in Konkurrenz mit Franziska befand, deren Sexappeal – zumindest früher – unschlagbar war.
Die Reiseleitung hatte eine routinierte Dame Ende 50 inne. Charme prallte an der ab, hatte Franziska sofort im Hotel feststellen müssen, als sie um ein ruhiges Zimmer mit Blick auf den Canale Grande bat.
»Darauf habe ich keinen Einfluss«, sagte Frau Dr. Maria Wohlfahrt. »Das müssen Sie mit dem jungen Mann an der Rezeption klären.«
Aber auch bei dem hatte sie kein Glück, wie Adriane mit Genugtuung feststellte, die heimlich 100 Euro über den Tresen geschoben hatte. Selbstverständlich bekam sie ein Zimmer mit Kanalblick.
Ihr Coup war keine so gute Idee gewesen. Sie stand am nächsten Morgen schon sehr früh an der Rezeption.
»Das Zimmer ist untragbar. Ich kann das Fenster nicht öffnen. Vom Wasser her stinkt es wie die Pest. Und der infernalische Krach! Schon um fünf brummen die Vaporettos los und dann kriegt man kein Auge mehr zu. Ich möchte ein Zimmer nach hinten raus. Hauptsache ruhig.«
Bei dem hübschen Italiener hatten seine guten Deutschkenntnisse wohl über Nacht gelitten. Er schüttelte verständnislos den Kopf.
«Bonita camera, signora«, sagte er. »Vista fantastica! Canale Grande. Benissimo!«
Adriane ging zur Reiseleitung, aber da stand schon Franziska. Ihre hohe Stimme war durch die ganze Hotelhalle zu hören.
»Eine Unverschämtheit. Das soll ein 4-Sterne-Hotel sein? Wohl italienischer Zählweise. In Deutschland würde man für diesen Kasten höchstens zwei Sterne bekommen. Das Zimmer ist zu klein, das Bett hart, und die Klospülung funktioniert nicht.«
»Wieso funktioniert die Klospülung nicht?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Kann ich mir kaum vorstellen«, sagte Frau Dr. Wohlfahrt. »Sagen Sie an der Rezeption Bescheid und dann wird sich der Haustechniker darum kümmern.«
»Die sind selbst schuld, wenn ich nicht abziehen kann«, murrte Franziska. »Typisch italienische Schlamperei!«
»Wahrscheinlich bist du nur zu dumm, die Spülung richtig zu bedienen«, mischte sich Dorothea ein. »In jedem Land funktioniert die Toiletten-Spülung anders. Ein bisschen technisches Verständnis kann manchmal nicht schaden. Es ist nicht immer ein Mann zur Hand.«
Franziska bekam einen roten Kopf. »Kannst ja mit raufkommen, wenn du willst. Ich zeig dir, dass sie nicht funktioniert.«
»Nein,« sagte Dorothea, »ich habe eine bessere Idee. Wir tauschen die Zimmer. In meinem Apartment kann ich nicht nackt herumlaufen. Da glotzt mich immer so ein dunkelhaariger Typ von der gegenüberliegenden Seite an. Ekelhaft!«
»Ich würde auch tau …«, sagte Adriane sofort. Doch Franziska eilte schon die Treppen hinauf.
»Nach dem Frühstück treffen wir uns im Foyer«, sagte Frau Dr. Wohlfahrt. »Auf dem Programm steht heute der Markusplatz mit Markusdom, der Dogenpalast mit Seufzerbrücke und Kerker. Dann laufen wir über die Rialtobrücke zur Galeria dell`Academia, an deren Eingang uns Herr Professor Dr. Mario Vizenza zu einer Führung zu den Kunstwerken des Cinquecento erwartet: Raffael, Giotto, Boticelli, Tizian, Donatello, Fra Angelico, Filippi Lippi, aber all diese berühmten Namen muss ich Ihnen nicht aufzählen, nicht wahr? Nach einer kurzen Mittagspause besuchen wir die Iglesia »Madonna dell` Orto«, mit einigen weltberühmten Tintorettos, die uns auf seine herrlichen Bilder in der Scuola Grande de San Rocco vorbereiten, die ich Ihnen morgen früh persönlich zeigen möchte nach einer Gondelfahrt auf dem Canale Grande. Nachmittags besichtigen wir die Basilika Sante Maria della Salute, wo es Ihnen dann mit Ihrem Vorwissen sofort gelingen wird, das berühmte Gemälde von Tintoretto zu entdecken. Ein kurzer Bummel durch die Altstadt schließt sich an, ehe wir uns vom Vaporetto zum Casa d` Oro bringen lassen. Am dritten Tag …. ich höre hier auf. Sie bekommen das detaillierte Programm unserer Studienfahrt ausgedruckt heute Abend nach dem Dinner, bevor Frau Dr. Julia Mühlmann-Freiersleben einen Vortrag über die Geistesströmungen im Cinquecento hält. Selbstverständlich werden wir Ihnen auch … »
»Ich kann nicht mehr«, flüsterte Adriane. »Mir tun vom Zuhören schon die Füße weh. Müssen wir alles mitmachen?«
»Selbstverständlich«, sagte Dorothea. »Dafür sind wir hier. Teuer genug ist die Reise ja. Hast du dich nicht auf das Cinquecento vorbereitet?«
»Es soll doch auch eine Tour auf Commissario Brunettis Spuren geben.« Franziska hob den Finger. »Gibt es die Möglichkeit, einer Lesung von Donna Leon beizuwohnen?«
»Das hier sind Studiosus-Reisen«, sagte Frau Dr. Wohlfart bestimmt. »Und wir sind dafür bekannt, dass wir unser Niveau halten. Sie können selbstverständlich Ihre Tage in Venedig selbst gestalten. Aber Geld für verpasste Führungen wird nicht erstattet. Im Übrigen können Sie sich glücklich schätzen, dass wir die Gelegenheit haben werden, unter sachkundiger Führung die Biennale zu besuchen, die – wie der Name schon sagt – nur alle zwei Jahre stattfindet. »
»Wieso sagt der Name das?«, murmelte Franziska.
»Wohl in Latein Briefchen geschrieben, was?« Adriane lächelte überlegen. »Ich gehe übrigens heute nicht mit zu der Führung. Gestern Abend in der Bar habe ich noch einen netten Herrn kennengelernt, einen pensionierten Oberstudiendirektor, der sich gut in Venedig auskennt. Er hat gesagt, es würde ihm großes Vergnügen machen, sich meiner anzunehmen und mir die Schönheiten Venedigs zu zeigen. Ganz privat.«
»Das hat aber schnell geklappt mit der Herrenbekanntschaft«, sagte Franziska. »Hoffentlich ist er nicht so ein alter Langweiler, der ununterbrochen labert. Ich gehe jedenfalls mit der Gruppe mit, selbst wenn mir die Füße abfallen. Und in der Mittagspause  genehmige ich mir eine Karaffe Weißwein zu fettucine con fungi. Wie der Commissario.«
Sie stolzierte auf hohen Hacken aus dem Hotel, steckte sich draußen eine Zigarette an, inhalierte gierig.
»Divieto fumare«, sagte Frau Dr. Wohlfahrt, die ihr nachgekommen war. »Ich muss Sie bitten, Ihre Zigarette auszumachen. Das Rauchen ist im Eingangsbereich verboten.«
»Scheiß Venedig«, sagte Franziska, schmiss die Zigarette auf den Boden und drehte sie mit dem Absatz aus.

 

frei nach: Somerset Maugham, The Three Fat Women of Antibes

 


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