Junge Frau vor dem Badezimmerspiegel

Man sieht nichts. Definitiv gar nichts. Mein Bauch ist flach wie ein Brett. Dabei bin ich schon vier Wochen überfällig. Glück gehabt? Pech gehabt?
Du bist schön, hat er gesagt und mich auf die Wange geküsst. Schön wie eine Lilie im Morgentau. Schönschwätzer! Auch sein Atem roch fahl. Seine fetten Finger suchten den Weg in meinen Slip.


Hätte ich mich wehren sollen? Weglaufen? Ich will doch die Rolle. Unbedingt will ich die Rolle. Sie ist mir auf den Leib geschnitten. Die Figur, das Gesicht, die Haare, alles passt, das hat er gesagt. Ich bin die perfekte Besetzung. Der Film wird ein Erfolg werden. Bestimmt, hat er gesagt.
Ein Jahr lang habe ich mich in der Schauspielschule geplagt. Habe nachts in Bistros gejobbt, im Supermarkt an der Kasse gesessen, stundenlang, nur um die Gebühren für die Ausbildung zahlen zu können. Dann diese Absteige. Habe den Würgereiz unterdrückt, immer wieder unterdrückt, wenn ich dieses versiffte Bad betreten habe, in das braun angelaufene Waschbecken geschaut, die Flecken an den Wänden angestarrt habe, unter dem tröpfelnden Wasserstrahl der Dusche den Alkoholgestank der Kneipe loswerden wollte.
»Pass auf«, habe ich ihm gesagt. »Pass bloß auf. Ich vertrage die Pille nicht.«
»Kein Problem, Kleines«, hat er in mein Ohr gespeichelt.
Alles, alles habe ich gegeben für diese Rolle. Seinen fetten Körper habe ich ertragen, sein Gestöhn und Gejammer. »Mach`s mir! Mach`s mir!«, hat er gejault.
Danach ist er auf mir eingeschlafen, hat geschnarcht wie ein Berserker.
»Die Rolle kriegst du«, hat er gesagt.
Und nun? Was mache ich, wenn ich schwanger bin? Gibt er mir das Geld für die Abtreibung? Oder wird er mich dahin zurückschicken, wo ich hergekommen bin. Wo mein Vater sich die Hände reiben und sagen wird, er habe immer gewusst, wie es mit mir enden würde. Ich hätte ja immer geglaubt, ich sei was Besseres. Und nun müsse ich wohl doch den Nachbarsjungen nehmen, den Sohn des Schweinezüchters, der mir schon in der Schulzeit nachgerannt ist. Ein schönes Stück Land wird er ihm versprechen, wenn er mich heiratet und das Kind als sein eigenes anerkennt.
Nein, nie und nimmer! Eher bringe ich mich um. Ich bringe mich um.
Aber vielleicht bin ich gar nicht schwanger. Vielleicht kriege ich die Rolle. Er hat es mir versprochen. Ganz fest versprochen.

Gedanken zu: Cindy Sherman Collection, Weserburg Bremen 19.5.18 – 24.2.19
http://www.artnet.com/artists/cindy-sherman/untitled-film-still-39-4EELdUufze3LQCjmsvXUgg2


Tags:

 
 
 

Schreibe einen Kommentar