Konsumentgleisung

 


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»Ich will nen Euro«, brüllt der Fünfjährige und haut mit den Fäusten auf den Bauch seiner Mutter.
»Euro! Ich will nen Euro!«
Er zeigt auf die rollenden Plastikbälle hinter einer Glasscheibe, die man mit einem Kescher fangen kann, wenn, ja wenn der besagte Euro in den dafür vorgesehenen Schlitz fällt.
»Klaas-Kevin, du kriegst keinen Euro. Und hör auf mich zu boxen«, sagt die gut gepolsterte Mutter, deren Meerjungfrau-Tattoo über den fetten, weißen Arm bis zum Hals wächst. «Dat Chriskind hat dir so viele Spielsachen gebracht gestern Abend.«
»Die will ich nicht!«, brüllt der Kleine und wirft sich auf den Boden. »Ich will nen Euro!«
Der dazugehörige Vater in Muskelshirt und mit Frankenstein-Tattoo auf dem Rücken pflückt den schreienden Zwerg vom Boden und setzt ihn sich auf die breiten Schultern.
«Wenne weiter schreist, darfse nich die Rutsche runterrutschen!«
Die Drei stapfen durch den Eingangsbereich des Aquadroms im Center Park. Dumpf-feuchte Karibik-Luft schlägt ihnen entgegen, das Geschrei hunderter kreischender Kinderstimmen, unterlegt mit Kling Glöckchen, klingelingeling.
»Die wolln alle mit dich spielen, Schatzi«, mischt sich die Mutter wieder ein und zeigt auf die Kinder, die sich im warmen Pool mit Raketen beschießen. »Die Kinners warten auf dir.«
»Dich«, sagt der Mann und rollt mit den Augen.«Auf dich!«
»Wieso auf mich?«, fragt die Frau.«Ich meine doch … «
»Vergiss es », sagt der Mann. »Da hintn is dä Norbert. Komm, da gehn wir hin. Hallo, Norbert, wir kommen.«
Der mit Norbert angeredete Mann hat eine gelbe Schwimmweste vor dem Mund und versucht, sie aufzublasen. Seine Frau hält ein kleines, heulendes Mädchen auf dem Schoß.
» Nu beeil dich mal, Norbert! Die Oma is schon im Wasser mit dat Kleine!«
»Dann mach doch selbst«, sagt Norbert und wirft der Frau die Weste zu.«Wenn du et schnella kanns. Komm, Hans-Jürgen, wir gehn erstmal nen Bier schluckn.«
Die beiden Männer entfernen sich in Richtung der mit flackernden bunten Lämpchen geschmückten Strand-Bar. »Dat die Fraun aber auch nie zufriedn sind. Dat is doch klar, dat die Brut auch nur rumquengelt.«
»Ja, fürchterlich«, sagt Hans-Jürgen, winkt dem als Nikolaus verkleideten Kellner und hebt zwei Finger in die Luft. »So´n Familienurlaub hälste nur aus mit genügend Alk. Übern Tannenbaum hat Nicole auch genörgelt gestern Abend. Und die Kinder habn sich gestritten und die Preise von die Geschenke verglichn.     «Da freut man sich schon wieda aufe Arbeit«, sagt Norbert.
»Guck mal, da geht der Fränki!«, sagt Hans-Jürgen. »Wo will der denn hin mit seine Jungs?«
»He, Fränki, wo willse denn hin? Komm her, nimm erst mal eenen zua Brust!« Norbert hebt sein Glas hoch.
Fränki schüttelt den Kopf und weist mit dem Daumen nach vorne. »Wir habn den Fußballplatz gemietet. Meine Jungs haben vom Christkind Fußbälle gekricht.«
»Pah, doch nich vom Christkind. Die habt ihr doch im Sonderangebot bei Aldi gekauft. Scheiß Bälle! Ich will lieber Bogenschießen.«, sagt der Größte der Jungen.
»Sei ruhig!«, sagt Fränki. »Nicht vor die Kleinen. Die glauben noch an dat Christkind.« Vorbei an dem singenden Engel und dem als Knecht Ruprecht verkleideten Trompeter schiebt Fränki seinen Nachwuchs Richtung Sporthalle.
»Ich will auch lieba Bogenschießen«, schreit der mittlere Junge. »Immer dat blöde Fußball. «
»Komm, wir gehen wieder rein«, sagt Hans-Jürgen. »Sons is die Olle widda saua. Ich hab ihr versprochn, sie darf inne Sauna. Ich muss die Kinners übernehmen, sonst is der Weihnachtsfriedn hinne.«
Am Fischteich wirft ein kleiner Junge Plastik-Schnipsel ins Wasser, die die Goldfische zu schnappen versuchen.
»Bisse denn verrückt«, schreit die Mutter. »Die krepieren doch, die Viecha, wennse dat schluckn!« Sie haut dem Knirps eine runter, der lässt sich sofort fallen und brüllt wie am Spieß.
»Ich werde Sie anzeigen«, sagt ein älterer Mann mit holländischen Akzent. »Auch in Deutschland ist es verboten, Kinder zu schlagen. Zumindest in der Öffentlichkeit!«
»Hau ab, du Kaaskopp«, schreit die Frau.  „Kümma du dich um du dich!« Sie zerrt den Sprössling hoch und verschwindet in der Umkleide des Schwimmbads.
»Heute Abend is Pfannkuchenessen. Um sechs.« Eine pickelige Pubertierende schiebt den Bademantel über ihren ausladenden Vorbau und plinkert den mageren Knaben auf der Bank neben ihr an. »Kommse mit?“
»Jetzt will ich inne Welln«, sagt der. «Echt geile Strömung im Außenkanal.“
»Mia is kalt«, sagt die Freundin und drückt sich an ihn. Er nimmt sie auf den Schoß und dann lutschen sie sich die Gesichter vom Kopf. Ein kleines Mädchen starrt sie an, sagt »Igittigitt. Mama, kuck mal, wie eklich.«
Die Mutter ist unangenehm berührt. »Da, kuck, die Vögelchen inne Palmen. Sindse nich süß?« Aber das Mädchen hat schon etwas anderes gefunden, was ihre Aufmerksamkeit fesselt. »Ein weißet Rentia! Ein weißet Rentia!«, jubelt sie. „Darf ich innen Schlitten? Bitte, bitte! Darf ich?«
»Dat ihr abba auch nie den Hals voll kriecht«, sagt die Mutter und schüttelt den Kopf. »Wenn dat de Papa wüsste! Aber da iss er ja! Manfred, komma her. Nimm mal dat Kind. Ich muss noch wat einkaufen hier inne Drogerie. Meine Haut is ganz trocken von dat heiße Wassa. Bisken Creme hättse mir ja auch schenken können.«
Sie schiebt die Tochter ihrem Mann zu und verschwindet in der Parfümerie. Der Vater nimmt das Kind an die Hand. »Komm, Chantalle, wir gehn ersmal wat essen. Willse nen Eis oder wat?«
Das Mädchen schüttelt den Kopf. »Cola, ich will Cola!«
»Nee, nich schon widda«, sagt der Vater. »Doch«, sagt das Mädchen und trampelt mit den Füßen auf den Boden.
»Abba nich Mama sagen«, sagt der Mann, holt Cola für die Tochter und einen Schnaps für sich. «Willse auch Pommes?«
Im Hintergrund singt eine hohe Frauenstimme: »Süßer die Glocken nie klingen.« Niemand hört zu. Der Geruch von Pommes mit Ketchup überlagert jede Ahnung von Apfel, Nuss und Mandelkern, die fromme Kinder angeblich so gerne essen.

 


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