Grimselpass

Vorsichtig lenke ich den Wagen auf den Parkplatz. Nur schemenhaft zeichnen sich die Umrisse des Restaurants «Grimselblick» ab. Doch heute gibt es keinen «Blick». Der Pass liegt in undurchdringlichem Nebel. Eine graue Geisterlandschaft. Man sieht kaum die Hand vor Augen.
Ich steige aus und hebe das Mountainbike vom Gestell. Eiskalt treibt der Wind die Nebelschaden über den Pass. Ich streife den dicken Faserpelz über, setze den Helm auf, steige aufs Rad.
Langsam und vorsichtig lass ich mich aus der Wolke rollen, den Blick krampfhaft auf den grauen Asphalt der Straße gerichtet, beide Hände an den Bremsen. Nach nur 50 Metern wird die Sicht besser, der Nebel durchlässiger. Ich kann den Mittelstreifen deutlicher erkennen und die helle Leitplanke, die mich vom Abgrund trennt.
Der Lichtstreifen wird breiter. Die Wolke löst sich auf. Nur noch Nebelfetzen, die mein Gesicht streifen. «Die grauen Nebel hat das Licht durchdrungen…»
Dann der Austritt aus dem grauen Tunnel. Das Licht so hell, dass ich die Augen zusammenkneifen muss. Tiefblau der Himmel in Richtung Südwesten. Wolkenlos. Ich atme durch, löse die verkrampften Hände von den Bremsen, das Rad kommt ins Rollen. Der Wind schlägt mir kalt ins Gesicht. Die erste Innenkurve. Vorsichtig bremse ich sie an. Zu vorsichtig. Jaulend überholt mich eine Motorradgang. Zum Glück kein Gegenverkehr. Die Straße – trocken und hellgrau – windet sich den Berg hinunter wie ein sorgfältig in schräge Falten gelegtes Band. In der Außenkurve ein kurzer Blick auf die mit Moos überzogenen Granitfelsen der Dreitausender vor mir. In der Sonne funkelnde Schneereste, dann Steine, Geröll. Hinter der nächsten Kurve der Blick auf den Rhonegletscher am Furkapass. Breit und majestätisch die Gletscherzunge. Ich werde mutiger. Schneller und schneller drehen sich die Reifen. Ob die Bremsen das aushalten? Doch kein Geruch von verbranntem Gummi steigt in die Nase. Die dünne, klare Höhenluft bringt mich in einen rauschähnlichen Zustand. Nur Fliegen ist schöner. In schnellem Tempo rolle ich bergab. Tiefer und tiefer. Nur wenig Autos kommen mir entgegen. Zwei Biker quälen sich den Pass hinauf.
Die nächste Kurve. Noch eine. Zwei Radrennfahrer rasen in atemberaubender Geschwindigkeit an mir vorbei. Sollen sie! Ich bremse ab, will die Fahrt genießen. Immer wieder die Ausblicke aufs Tal. Das Wallis in seiner Schönheit: grüne Wiesen, das silberne Band der Rhone, die hier noch Rotten heißt. Hausdächer und Kirchtürme glitzern im Sonnenlicht. Weiter und weiter geht es nach unten. Nach jeder Kurve ist das Tal nähergerückt. Daumenkino. Der rote Glacier-Express ist zu sehen, klein wie die Märklin-Eisenbahn. Der Bahnhof von Oberwald, die Autoschlange vor der Verladestation. Ich schaue und schaue. Die ersten Menschen sind zu erkennen. Die Autos werden größer. Ich erreiche Gletsch. Löse meinen klammen Finger vom Lenker. Atme durch. Zerre den Pullover über den Kopf. Es ist heiß hier unten.


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