Schön, schön – alles Verhandlungssache

Sommerliche Abendstimmung. Ein parkähnlicher Wohnbezirk in einer größeren norddeutschen Stadt. Ein VW-Caddy rumpelt den Kiesweg entlang bis zu dem mit Säulen verzierten Eingangsportal einer zweistöckigen weißen Villa. Ein junger Mann springt aus dem Wagen, schaut sich um und sagt »Wow!«, ehe er sich das bronzene Türschild anschaut und auf den Klingelknopf drückt. Auch die junge Frau neben ihm ist ausgestiegen und schaut auf die friedlich grasenden Pferde auf der Wiese neben dem Haus. Sie schnalzt mit der Zunge und eins der Tiere kommt neugierig angetrabt und schnuppert an ihrer Hand. Sie tätschelt seinen Hals, streicht über die weichen Nüstern.

Freundlich lächelnd und mit ausgestreckten Händen kommt ein dunkelhäutiger, älterer Mann aus dem Haus.
Schöne Pferde, nicht? Quarterhorses. Aus Amerika. Meine Töchter reiten. Westernstyle. Viele Preise gewonnen. Er reicht den Besuchern die Hand:
Murat Fathallah, wir haben telefoniert. Schön, dass Sie kommen konnten. Ich nie Zeit,  immer bis spät im Geschäft, wissen Sie. Bekanntes Geschäft, direkt in der City. Orientteppiche. Beste Adresse in der Stadt. Kennen Sie bestimmt.
Die Frau sieht ihren Mann unsicher an, murmelt: Ja, ja, natürlich.
Herr Fathallah ist nicht zu stoppen.
Kunde ist König. Da kann man nicht einfach Tür abschließen. Feierabend machen.
Ein schönes Haus haben Sie, sagt die junge Frau.
Ja, aber Grundstück zu klein. Haus eng.
Er geht näher an den Caddy heran und streicht mit der Hand über den Kühler.
So, dass ist Auto. Schön, schön.
Er geht um den Wagen herum, öffnet die Fahrertür, wirft einen Blick in den Innenraum.
Schön, schön. Sitze ein wenig schmutzig. Viele Flecken. Müssen gereinigt werden.
Der Wagen ist gerade professionell von innen und außen gereinigt worden. Für 250 Euros, sagt der junge Mann schnell.
Schön, schön. Aber die Flecken! Er geht wieder nach hinten, betrachtet die Anhängerkupplung. Gut, gut. Anhängerkupplung. Ich muss Teppiche transportieren. Zieht welches Gewicht?
Der junge Mann nimmt Papiere aus dem Handschuhfach. Der Wagen hat 105 PS. Dieselmotor. Er zieht gut, auch auf Steigungen.
Wir haben einen Wohnwagen, fügt die Frau hinzu. Sind vor zwei Jahren um die Ostsee gefahren. Letztes Jahr bis Sizilien. Wir haben nie Probleme gehabt.
Der Händler lächelt freundlich. Viel verreisen. Schön, schön. Ich leider keine Zeit. Immer Arbeit. Deshalb so viele Kilometer?
Der junge Mann ist verunsichert. Ja, 130 000 km, das hat meine Frau Ihnen sicher am Telefon gesagt. Für einen Dieselmotor ein Klacks.
Schön, schön. Unfall gehabt?
Nein, sagt die junge Frau bestimmt. Nein.
Woher dann Kratzer auf Kühlerhaube? Herr Fathallah hat einen scharfen Blick.
Ach so, sagt der junge Mann. Ist vor Jahren in München passiert. Nach einem Werder-Spiel gegen Bayer-München. Angetrunkene Fußballfans. München hatte verloren.
Der Händler fährt mit dem Finger die Kratzer nach. Ja, ja, mein Wagen auch Kratzer. Mit Schlüssel. Auf der rechten Seite. Neidische Menschen. Pack.
Das Gespräch stockt. Wollen Sie den Wagen nicht Probe fahren?, fragt der junge Mann und hält den Schlüssel hin.
Nein, nein. Vertrauen gegen Vertrauen. Ich kenne Autos. Brauche nicht fahren. Kommen Sie herein, bitte.
Sie gehen durch die Tiefgarage, in der ein schwarzer Mazarati und ein roter BMW geparkt sind, direkt ins Haus und steigen die Marmorstufen zur ersten Etage hoch. Der Händler führt sie in ein mit prächtigen Möbeln und Teppichen ausgestattetes Wohnzimmer.
Setzen Sie sich bitte. Was möchten Sie trinken? Tee, Kaffee?
Vielleicht Wasser, sagt die Frau. Es ist so warm draußen.
Ja, schön warm. Wie in meine Heimat. Komme aus Iran. Persien. Unsere Familie ist über zweihundert Jahre im Teppichgeschäft. Urururgroßvater. Läden überall: Amerika, Holland, Schweden …
Auch im Iran?, fragt der junge Mann. Oder mussten Sie alles zurücklassen?
Der Händler ruft ein paar unverständliche Worte in Richtung Küche und wendet sich dann wieder seinen Gästen zu, die zusammengesunken auf dem niedrigen Diwan sitzen.
Nein, nicht geflohen. Familie nicht in Politik. Unter Schah natürlich alles besser.
Eine junge, schwarzhaarige Frau in einer Kittelschürze – offensichtlich die Hausangestellte – bringt drei elegante Stilgläser mit Goldrand und einen Kristallkrug mit sprudelndem Wasser.
Der Händler wendet sich an den jungen Mann. Sie machen Musik, sagte Frau gestern am Telefon?
Ja, ich spiele Trompete in einer Brassband.
Schön, schön. Leben ohne Musik ist nichts. Sage ich immer. Habe Klavier gespielt. In Persien. Guter ungarischer Klavierlehrer. Musste dann Geschäft übernehmen. Keine Zeit mehr.
Schade, sagt die junge Frau.
Ja, schade, schade. Herr Fathallah trinkt einen Schluck Wasser, setzt das Glas ab: Warum machen so hohen Preis? 8000 EU für alten Wagen. Viel zu viel.
Der junge Mann ist sichtlich aus dem Gleichgewicht gebracht und stottert: Er ist doch erst fünf Jahre alt.
Und außerdem sind die 8000 EU Verhandlungssache, hilft seine Frau.
Ich nicht handeln. Kein türkisch Basar. Nur Festpreise. Im Laden auch. Die Stimme des Händlers hat sich verändert. Nur sein Lächeln ist geblieben.
Und was ist Ihr Festpreis? Der junge Mann spielt mit den Kaufverträgen auf dem Tisch.
War bei VW-Händler: Meier und Söhne. Kennen Sie?, fragt der Teppeichhändler.
Ja, natürlich, dort haben wir den Wagen gekauft. Vorführwagen, ein halbes Jahr alt, nur dreitausend Kilometer.
Herr Fathallah lehnt sich im Sessel zurück. Ach so, Wagen ist zweite Hand.
Wie gesagt, ein Vorführwagen der Firma, sagt die Frau.
Na egal. Habe dort Angebot für selben Wagen, aber weniger Kilometer, nur 90 000. Für 5 800 Euro. Voll überholt. Ein Jahr Garantie.
Mit derselben Ausstattung? So schnell gibt sich der junge Mann nicht geschlagen: Rundverglasung, Klimaanlage, Sitzheizung, Rückfahrwarnung, Anhängerkupplung.
Keine Anhängerkupplung, sagt der Händler..
Die kostet auch an die 1000 EU, sagt die Frau.
Krieg ich billiger. Ich guter Kunde. Kaufe viele VWs. Für Filialen. Auch in Berlin und München.
5800 Euros sind zu wenig, der junge Mann schiebt die Papiere zusammen.
Wagen muss lackiert werde.
Was?, sagen Mann und Frau gleichzeitig.
Hat Kratzer. Doch lieber einen Espresso? Kein Problem. Aysa macht sofort.
Sie sagten doch, Sie brauchen das Auto nur für den Betrieb. Um Teppiche zu transportieren. Die junge Frau lässt sich nicht ablenken.
Herr Fathallah hebt bedauernd die Schultern.
Gute Kunden in mein Laden. Nicht Aldi-Kunden. Wagen muss tipptopp sein.
Für 5800 verkaufen wir nicht. Dann fahren wir das Auto weiter, sagt der junge Mann mit fester Stimme.
Sie haben doch schon neues Auto, spekuliert der Händler.
Nein, haben wir nicht. Die Stimme des jungen Mann klingt gereizt.
Hören, ich zahle bar. Gutes Geschäft. Keine Raten. Geld auf die Hand. Hier Auto, da Geld. Sofort.
Nein, auf keinen Fall. 7200 EU. Unser letztes Angebot.
Der Händler ringt die Hände. Kann ich nicht machen. Nein. Viel zu viel. Warten Sie. 5 800 und Teppich. Können Teppich aussuchen. In mein Geschäft. Haben Sie echt orientalisch Teppich zu Hause?.
Nein, sagt die Frau. Und wir sind auch nicht interessiert.
Schöne Teppiche. Können aussuchen. Letztes Angebot.
Wortlos packt der junge Mann seine Unterlagen zusammen. Das Paar erhebt sich.
Schade, schade. Beide so sympathische Menschen. Chemie stimmt. Vertrauen gegen Vertrauen. Schade, schade. Auch Herr Fathallah ist aufgesprungen. Streckt wieder seine Hände aus.
Sie können es sich ja noch einmal überlegen, sagt jetzt die junge Frau und schaut den Händler herausfordernd an.
Ich morgen Geschäftsreise. USA. 14 Tage.
Da haben Sie ja Zeit zu überlegen.
Ich nicht überlegen. Sie überlegen. Mich dann anrufen. In 14 Tagen. 5 800 EU, mehr geht nicht. Und Teppich.
Der Teppichhändler bringt das Paar zur Tür. Händeschütteln.
Auf Wiedersehen. Schade, schade. Sollen wieder anrufen. So sympathisch. So gut verstanden. Aber Preis zu hoch. Auf Wiedersehen. So nette Leute.
Nach ein paar Schritten sagt die Frau leise: Müssen sich den alle Klischees bewahrheiten?
Tja, wenn du auch keinen echten Orient-Teppich willst! Der Mann lacht.  Verhandlungstechnisch haben wir uns da wohl übernommen.
Sie steigen in den Wagen. Im Spiegel sehen sie, dass der Händler hinter dem Auto herläuft und mit den Armen fuchtelt. Sie bremsen ab.
Der kriegt unseren schönen Caddy nicht. Egal, was er bezahlt, sagt die Frau und schiebt entschlossen den Unterkiefer vor.
Der Händler klopft an die Scheibe. Der junge Mann kurbelt sie hinunter. Frau mag kein Teppich. Ok.,Ok. 4000 Euros und Pferd. Frau liebt Pferd. Schöne Stute. Reinrassig. Hier meine Hand.
Gib Gas, sagt die junge Frau.


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One Response to “Schön, schön – alles Verhandlungssache”

  1. Gravatar of Wilma Diacont Wilma Diacont
    9. August 2015 at 20:41

    Herrlich die „Verhandlungsbasis“! Ich wurde ganz unruhig beim Lesen…! Toll beschrieben.

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