Fremdenführung

 

Wir hatten im Internet eine Annonce aufgegeben, dass wir unser Haus im Bremer Norden verkaufen wollten. Einfach zu groß, nachdem die Kinder ausgezogen waren, der Garten zu arbeitsintensiv, die vielen Treppen und das alte, enge Bad nicht altengerecht.
Es ist ein altes Haus, 1934 gebaut, sicher von einem Werftarbeiter, der beim Vulkan geschuftet hat. Alle Häuser in der Straße sehen ähnlich aus und es heißt, wenn der Vulkan eine Sirene hätte schalten können, um alle Teile zurückzupfeifen, die unerlaubterweise beim Schiffsbau über Jahrzehnte hinweg entwendet worden waren, würden in der ganzen Umgebung die Häuser in sich zusammenfallen.
Ich war alleinerziehende Mutter mit zwei Grundschulkindern, als ich mir – der Trennung von meinem Mann – ein kleines Haus kaufen konnte, das meinem Geldbeutel entsprach.
»Wie kannst du nur«, war die Reaktion meiner finanziell abgesicherten alten Freunde. »Du kaufst ein Haus in solch einer spießigen Gegend?«
Ich blieb stur, kaufte das Häuschen, hielt die monatliche Belastung niedrig, konnte den Kindern einen schönen Garten, und nette, hilfsbereite Nachbarn bieten, die die Kinder zum Essen in ihre Wohnung luden, wenn ich mich mal wieder verspätet hatte.
Mit meinem zweiten Mann und dessen Kindern hatten wir das Haus vergrößert, das Dachgeschoss ausgebaut, ein Badezimmer hinzugewonnen. Nur die Außenfassade, die blieb gleich. Eine mit eher hässlichen, braun-gelben mit Klinkern verschalte Doppelhaushälfte, die nicht viel hermacht.
Die alten Freunde fanden mittlerweile das helle Wohnzimmer mit dem zum Garten hinausgehenden großen Fenster gemütlich, saßen abends stundenlang auf der windgeschützten Terrasse, plauderten, lachten, tranken und freuten sich daran, dass unserer Nachbarn sich nicht über ruhestörenden Lärm beschwerten und auch verständnisvoll blieben, als die heranwachsenden Teenager ihre lauten nächtlichen Parties feierten.
Aber nun wollten wir das Haus verkaufen, es war zu groß geworden für uns zwei, die vielen Treppen war mühsam zu erklettern, das Bad weit davon entfernt, altengerecht zu sein. Mit welchen Augen würde ein potentieller Käufer das Haus sehen, jemand, der von außen kam und nichts wusste von den Vorteilen, die unser Haus für eine Familie mit Kindern bieten würde.
Schon die Eingangstür sieht aus wie alle Eingangstüren in der Straße, den Vorgarten umschließt einer dieser abscheulichen gusseisernen Zäune, die noch aus den Vulkan-Zeiten stammt sicher in der Werft, in der er gefertigt worden war.
»Wenn ich Terrorist wäre«, sagte einmal ein junger Kollege, der zum ersten Mal in unser Haus gekommen war, um als Co-Korrektor mit mir die Abi-Arbeiten durchzugehen, »dann würde ich mich bei euch verstecken.« Er lachte. »Keiner würde mich finden. Alle Eingangfronten sehen gleich aus.« Ich tat so, als fände ich die Bemerkung witzig.

Ein Arztehepaar, mit dem wir uns angefreundet hatten, stolperte beim ersten Besuch über die kleine Schwelle, die ins um einige Zentimer tiefer gelegenen Wohnzimmer führt, durchquerte mit schnellen Schritten die Distanz bis zu Terrasse, ließ sich in die Korbstühle sinken und griff dankbar nach dem gekühlten Weißwein, den mein Mann reichte.
»Herzlich willkommen!«, sagte er.
Die Arztgattin blickte recht erfreut auf das satte Grün des Rasens, ihr Blick wanderte zu der explodierenden Blütenpracht des Apfelbaumes, sie musterte den hohen Fliederbaum am Ende des Grundstücks, die Rosensträuchern, die die Terrasse begrenzen und sagt
»Ein kleines Paradies, vollständig geschützt vorfremden Blicken. Wirklich schön.«
»Sollte man nicht meinen«, sagte ihr Mann, der berühmt-berüchtigt war für seine Direktheit. »Sieht ja von der Straße nach nichts aus, dieses Haus. Aber ich muss meinen Eindruck revidieren.« Er hob sein Glas.
Es wurde noch ein netter Abend. Und sie sind sogar wiedergekommen. Zum Grillen. Das dürfen sie in ihrem Garten nicht. Der Qualm stört die Nachbarn. Und gegen den Hund prozessieren die Nachbarn auch. Er würde zu viel bellen.
Aber nun möchten wir nach dreißig Jahren unser Haus verkaufen, wollen ein modernes Apartment in Stadtnähe. Altersgerecht. Können wir uns das leisten? Wie werden potentielle Käufer unser Haus sehen? Was ist das Haus wert?
Interessenten gibt es genug. Meistens Leute mit Kindern. Die jagen die Treppen hinauf und hinunter, suchen sich schon ihre Zimmer aus. Die Eltern allerdings werden immer stiller. Nichts ist plan in diesem Haus, noch nicht einmal die Flure: viele Stufen, Zimmer auf unterschiedlichen Ebenen, zwei Dachböden, die im Laufe der Zeit ausgebaut wurden. Und dann erst die steile Treppe zum Halbkeller. Halsbrecherisch. Wir geben zu, die Tür muss abgeschlossen werden, wenn kleine Kinder im Haus wohnen. Viel zu gefährlich. Aus Altersgründen haben wir mittlerweile ein zweites Geländer angebracht, um nicht eines Tages mit dem Kopf voraus in den dunklen Abgrund zu stolpern. Denn nutzen tun wir ihn schon, den Keller. Alle Weinvorräte lagern unten, Reisekoffer und die Winterschuhe. Und vor allen Dingen die vielen Bilder meines Mannes, die auf einen Platz an der Wand, warten, wenn die Konkurrenten abgehängt werden.
»Kein Null-Acht-Fünfzehn Architektur«, sagt ein Interessent. »Das muss man zugeben. Keiner dieser weißen Bunker aus der Retorte.«
Wir gucken hoffnungsvoll.
»Aber – für uns wohl doch zu klein.«
»Toller Dachboden«, sagt eine Frau, als mein Mann dem Paar sein Atelier oben zeigt. »Ich male auch. Das Licht ist phantastisch. Gerade richtig. Aber … «
Und dann versuchten sie, den Preis herunterzuhandeln.
Nach drei Wochen und über dreißig Hausbesichtigungen liegen wir abends erschöpft und frustriert im Bett.
»Was nun?«, fragt mein Mann.
»Weißt du was«, sage ich und knipse das Licht noch einmal an. »Ehe wir unser Haus verschleudern und uns dann hoch verschulden, um eines dieser schicken Apartments im angesagten Viertel zu kaufen, nehmen wir doch lieber ein bisschen Geld in die Hand, renovieren die Bäder und machen sie barrierefrei.«
»Stimmt«, sagt mein Mann. »Und die Treppen kommen wir immer noch gut hoch. Und so viel Platz kriegen wir nie wieder.«
»Dann wäre Schluss mit eigenem Atelier unterm Dach und deiner Werkstatt im Garten«, sage ich. »Und ich möchte auch nicht auf dem Küchentisch meine Geschichten schreiben. Ich liebe meine unaufgeräumte Butze mit Blick auf den Garten.«
Der wirklich erste ernsthafte Interessent rief am nächsten Morgen an. Er habe mit der Bank gesprochen. Die Finanzierung sei gesichert.
»Es tut uns leid«, sage ich ihm. »Wir haben es uns anders überlegt. Wir verkaufen nicht.«
Er ist sehr enttäuscht.


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