Frauenleiche gefunden

Die Streitereien ihrer Eltern waren in den letzten Wochen immer heftiger geworden. Jana konnte abends oft nicht einschlafen. Eines Abends war es besonders schlimm. Durch die dünnen Wände hörte sie die keifende Stimme ihrer Mutter und die raue, bollernde ihres Vaters. Irgendwann polterte ein Stuhl, Mama heulte auf, Papa schrie: »Sei ruhig, sei endlich ruhig!« Dann das Schluchzen von Mama und ihre tränenerstickte Stimme: »Es geht immer nur um sie. Ich bin dir egal!«
Am nächsten Morgen blieb Mama im Bett, Papa war schon im Stall, und Jana machte, dass sie aus dem Haus kam. Bevor sie zum Schulbus rannte, ging sie noch rüber zu Oma. »Wir haben ihr ein schönes Altenteil gebaut«, sagte Mama immer.«Aber die Frau ist nie zufrieden.«
Oma war die Mutter von Papa, ihr gehörte der Hof, so viel hatte Jana mit ihren neun Jahren verstanden. Und dass ihre Mutter das Landleben hasste und weg wollte in die Stadt. »Verkauf den Hof doch«, hatte sie Mama sagen hören. »Wir kriegen eine Menge Geld. Der Investor aus München will das Gelände kaufen für seinen Windpark.«
Aber Papa war stur geblieben. »Nicht, solange meine Mutter lebt«, hatte er gesagt.
»Aber sie ist doch völlig gaga«, hatte Mama gesagt. »Lass sie entmündigen!«
Papa war wortlos in den Stall gegangen und Mama hatte die Fäuste in der Kittelschürze geballt, das hatte Jana genau gesehen.
Oma  war nicht da heute Morgen: nicht in der Stube, nicht in ihrer Schlafkammer. Jana rief und rief, bekam keine Antwort. Also keinen heißen Kakao vor der Schule, kein geschmiertes Marmeladenbrot, keinen Kuss und keinen liebevollen Klaps auf den Po, wenn sie aus dem Haus rannte.
Jana zockelte zum Bus. Wo war Oma nur? Das sah ihr so gar nicht ähnlich. In der Schule knurrte Janas Magen so laut, dass ihre Freundin lachen musste. Frau Penzold musste sie ein paar Mal ermahnen, besser aufzupassen. »Wo bist du nur heute mit deinen Gedanken?«, sagte sie. »Ist was passiert?« Jana schüttelte den Kopf und Frau Penzold ließ das Mädchen in Ruhe. Erst am Nachmittag, als sie von dem Tod der alten Frau hörte, erinnerte sich die Lehrerin sich an das untypische Verhalten der kleinen Schülerin.
»Oma ist tot«, sagte Papa. Er holte Jana vom Bus ab und nahm sie in den Arm. Er hatte Tränen in den Augen. »Oma ist ertrunken«, sagte er. »Im See. Sie wollte wohl schwimmen gehen gestern Abend.«
Jana starrte ihn an. »Oma konnte ja gar nicht schwimmen, Papa.«
»Ich weiß, mein Kleines«, sagte ihr Vater und strich ihr über den Kopf. »Aber sie war in letzter Zeit so durcheinander. Vielleicht hat sie gedacht, sie könne schwimmen.«
Ungläubig schaute Jana zu ihrem Vater hoch. »Es nützt nichts. Ich muss weitermachen. Die Schweine müssen gefüttert werden.«
Ein paar Monate später wurde der Hof verkauft. Jana zog mit ihren Eltern in eine schicke Eigentumswohnung in der Stadt. Janas Vater hatte nichts mehr zu tun, langweilte sich, fing an zu trinken. Janas Mutter aber genoss das Stadtleben, traf sich mit ihren neuen Freundinnen und war immer öfter fort, manchmal auch über Nacht. Zu Hause lag Jana schlaflos in ihrem hübschen Mädchenzimmer und hörte ihre Eltern streiten. Es ging um Omas Tod. Jana hielt sich die Ohren zu.


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