Isabel, Postbotin

Eine Bank im Park

Entschuldigen Sie, darf ich mich zu Ihnen setzen?
Genug Platz auf der Bank?, sagen Sie. Danke. Aber ich wollte Sie nicht stören. Sie scheinen so in Gedanken versunken.
Sie freuen sich? Danke. Ich will mich auch nur ein bisschen ausruhen. Es ist so still hier. Die hohen Bäume…
Ich würde müde aussehen, sagen Sie …
Ja, ich bin seit halb sechs auf. Ich bin Zustellerin, wissen Sie. Postbotin, sagte man früher. Da muss man früh raus. Um sechs beginnt die Schicht. Briefe in die Fächer sortieren und so …
Ob ich das gerne bin … Postbotin, fragen Sie …
Wissen Sie, es gibt schlimmere Jobs. Putzen in der Schule, wie meine Freundin. Oder an der Kasse sitzen und immer das Zeugs über den Scanner ziehen. Den Geschäftsführer im Rücken … schneller … schneller.
Klar, das Briefeaustragen ist auch anstrengend … und das frühe Aufstehen … besonders, als die Kinder noch klein waren.
Ja, zwei. Zwei Jungs. 13 und 18. Schwieriges Alter. Aber ich will Sie nicht mit meinen Problemen zu, zu –  wie sagt man? –  zuschütten.
Sie fühlen sich nicht zugeschüttet, sagen Sie. Sie seien neugierig auf die Geschichten anderer Menschen. Ach so, Sie sind Schriftsteller. Aber aus meiner Geschichte können Sie kein Buch machen. Viel zu langweilig.
Langweilige Geschichten gibt es nicht? Das sehe ich aber anders. Aber wenn Sie wollen …
Ja, eine Zigarette hätte ich auch gern. Danke. Ist ja schädlich, liest man überall. Aber ab und zu … entspannt so schön.
Seit wann ich in Bremen wohne? Interessiert Sie das wirklich? Meine Eltern waren Gastarbeiter, aus Portugal. Gastarbeiter, so nannte man das doch damals. Mein Vater bekam einen Job beim Vulkan. Einen guten Job. Ich war sechs, als meine Eltern nach Bremen kamen.
Ich würde gut Deutschsprechen, sagen Sie. Danke. Mein Mann, äh, mein Exmann ist Deutscher. Ich musste immer viel Deutsch sprechen: in der Schule, auf der Straße … Ich glaube, mittlerweile spreche ich besser Deutsch als Portugiesisch …
Ja, jedes Jahr fahren wir nach Portugal. Meine Eltern sind auch längst zurück. An der Algarve …
Kennen Sie, sagen Sie … Wunderschön, ja ich weiß … Una casa portuguesa en Albufeira …
Ja, Sie dürfen mich fragen. Warum ich mich habe scheiden lassen? Traurige Geschichte: Der Vulkan ging pleite, mein Mann verlor seinen Arbeitsplatz. Saß zu Hause rum, fing an zu saufen, schlug die Jungs bei der kleinsten Gelegenheit. Da bin ich mit ihnen weg. Nach Portugal
Warum ich nicht dageblieben bin?
Für die Kinder war das nichts. Die Schulen sind schlecht … die meisten jungen Leute kriegen keine Stelle, meine Jungs sollen es einmal besser haben. Das Schulsystem in Deutschland ist gut, es gibt Berufsschulen …
Ob ich eine Unterstützung bekommen habe? Ja, ein bisschen Sozialhilfe. Wissen Sie, es ist so ungerecht, dieser Hennemann, der Kerl, der die Werft auf dem Gewissen hat, der hat eine riesige Abfindung gekriegt, will noch mehr, ist vor Gericht gegangen. Aber die kleinen Leute …
Aber was soll man machen. Ich war dann froh, dass ich die Stelle bei der Post bekam …
Ja, ja, heute Telekom. Härtere Arbeitsbedingungen, weniger Sozialleistungen …
Ich hinke ein bisschen. Nein, nein, macht mir nichts aus, dass Sie mich darauf ansprechen. Ich bin mit dem Rad gestürzt, diesem schweren Rad mit den Taschen vorne und hinten. Gut, war meine Schuld, ich hatte das Rad nicht richtig abgestellt, es ist umgekippt und auf mich drauf gefallen. Knie kaputt …
Arbeitsunfall? Das wäre schön.
Nein, das erkennen die nicht an. Und ein Anwalt ist teuer.
Gewerkschaft? Ja, das war mein Fehler. Bin ich nicht drin, das Geld war immer so knapp, die Jungs … Aber ist ja auch ganz gut geheilt, das Bein. Nur bei schlechtem Wetter …
Was sagen Sie, Sie kennen einen Anwalt, der … einen Freund? Nein, nein. Wirklich nicht. Vielen Dank, Sie sind sehr freundlich. Aber ich möchte nicht, dass …

Blick auf die Uhr
Um Gottes willen. Es ist schon spät. Ich muss zum Bahnhof …
Verreisen, nee, meinen Jüngsten abholen. Der war auf Klassenfahrt. Gestern Abend hat die Lehrerin angerufen, er hat Alkohol in die Jugendherberge geschmuggelt, hat sich betrunken. Mit ein paar anderen Jungs.

Die falschen Freunde? Ja,ja!Sicher!

Nun werden sie nach Hause geschickt. Der Kleine macht mir schlaflose Nächte. Ist schlecht in der Schule, schwänzt, wenn ich  nicht aufpasse. Ein leichtes Leben, nein, das habe ich nicht. Nein, ich bin nicht unzufrieden. Ich komme da durch. Auch meine Jungs. Wird schon werden, auch mit dem Kleinen. Ich müsste nur mehr Zeit haben … aber wie soll ich …
So, jetzt muss ich aber los. Danke, dass Sie mir so geduldig zugehört haben.
Stoff für einen Roman, sagen Sie. Na, ich weiß nicht. So spannend ist das ja auch nicht.
Klar, dürfen Sie verwenden für eine Geschichte. Nicht mit meinem Namen, natürlich.
Ob ich morgen hier wieder vorbeikomme? Vielleicht, mal sehen …
Auf Wiedersehen und vielen Dank für die Zigarette.


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