La Plaza de la Luz

2013-11-17_17-13-45Ich sitze im Schatten der Markise bei dem im Art nouveau Stil gebauten Pavillon mitten auf der Plaza de la Luz im historischen Kern der Altstadt von Los Silos, trinke ein Glas Milchkaffee und sehe den Maler mit schnellen Schritten über den Platz kommen. Graue Locken unter dem hellen Strohhut, den unvermeidlichen Zigarrenstumpen im Gesicht wie festgewachsen, die Staffelei unter der linken Achsel, ein Brett mit aufgezogenem weißen Papier am andern Arm schlenkernd. Seine Gestalt wirft einen langen Schatten auf die hellgrauen, kunstvoll verlegten Steine des großen Platzes.

Der Maler lehnt seine Staffelei an einen der mächtigen indischen Lorbeerbäume, die in gleichmäßigen Abständen die Ränder des großen Platzes begrenzen und Dorfbewohnern und Touristen, die sich müde auf Holzbänke niederlassen haben, mit ihren riesigen runden Kronen Kühle spenden.
Mit zusammengekniffenen Augen schaut der Maler eine Weile auf das vom Licht der späten Nachmittagssonne angestrahlte Ayuntamiento, mit dem großen, kunstvoll geschnitzten Balkon. Ebenso wie das ockerfarbenen Exconvento de San Sebastian an der Südseite mit seinem üppig begrünten Innenhof und der außen an den Wänden entlanglaufenden Holzgalerie ist auch das weißgetünchte Rathaus ein typisches Beispiel für die Bauweise der kanarischen Herrenhäuser. Im Hintergrund türmen sich die bizarren Steilwände des Teno-Gebirges auf, monumental und bedrohlich im Gegenlicht .

Eine Auftragsarbeit für den in Los Silos ansässigen Künstler, geht es mir durch den Kopf. Hat der Stadtrat sicher Gelder lockergemacht, um vom Meister ein oder zwei große Aquarelle gemalt zu bekommen, die sich als äußerst repräsentativ in einem der öffentlichen Gebäude machen würden und den spärlichen Tourismus beleben könnten.

Die Pfarrei von Nuestra Senora de la Luz scheint auf jeden Fall kein Interesse an der Vermarktung ihrer Kirche zu haben, denn der Maler wirft nicht einen Blick auf den schneeweißen mit überladenen Steinornamenten, unzähligen Säulchen, Vorsprüngen und Geländern verzierten Turm, in der die große Bronzeglocke gerade fünf dumpf klingende Schläge über den Platz schickt, die Menschen zur Nachmittagsmesse rufend. Eine Auforderung, der – soweit ich sehen kann – nur zwei ältere Frauen in dunklen Kleidern und gemusterten Kopftüchern Folge leisten.

Suchend blickt der Maler sich um, schüttelt den Kopf, als der junge Ober aus der Cafébar kommt und einen der Korbstühle näher an den weißen Tisch schiebt, an dem der Maler wohl um diese Zeit mit einem Espresso und einem Brandy die heure bleu einleitet.

Ich sehe, wie sich plötzlich die konzentrierten Gesichtszüge des Malers lösen und einem Lächeln Platz machen. Nanu, denke ich, eine schöne Frau? Er erwartet sein Modell. Das tut er in der Tat, doch sein Modell ist keine üppige kanarische Schönheit mit hüftlangem, schwarzen Haar, sondern ein etwas neunjähriger Junge, der mit seinem Skateboard um die Ecke des Sportgeschäftes Ernesto stürmt und – das rechte Bein auf dem Board, mit dem linken sich abstoßend – in atemberaubender Geschwindigkeit auf den Künstler zuschießt.
Meine Güte, der fährt den Mann um, denke ich. Doch der Maler zuckt mit keiner Wimper, und der Junge stoppt das Brett mit einer eleganten Drehung, verlagert das Gewicht auf das hintere Ende und springt in dem Moment ab, als das Brett hochschnellt. Mit einer geschickten Bewegung fängt er es auf und strahlt.
Der Maler lacht, neigt den Kopf und lässt sich links, rechts, links auf den stacheligen Vollbart küssen. Er streicht dem Jungen über den Kopf, sagt „vamos“, und dann gehen sie quer über den Platz in Richtung der weißen Bürgerhäuser.

Ich lege die Münzen für den Milchkaffee auf die Untertasse und folge den beiden. Der Maler baut seine Staffelei auf, klemmt das Holzbrett fest, dreht an den Schrauben, hängt die kleinen Näpfe mit den Aquarellfarben an die untere Leiste. Erst jetzt bemerke ich, dass das Blatt gar nicht weiß und unbemalt ist, sonder eine präzise Bleistiftzeichnung der alten Häuser auf der Nordseite des Platzes zeigt. Mit sicherer Hand sind die aus dunkel gebeiztem Kieferholz gefertigten Balkone, Türen, Fensterrahmen skizziert. Offensichtlich der Hintergrund für ein Portrait des jungen Skateboardfahrers, der sich lässig an eine der gusseisernen Laternen gelehnt hat, sein Board unter dem Arm.

„Bueno“, sagt der Maler. „No te muevas“, und er beginnt, mit schnellen Bewegungen zu zeichnen. In Windeseile ist das Gesicht des Jungen erkennbar in seiner ganzen vorpubertären Selbstherrlichkeit, mit blitzenden Augen und spitzbübischem Gesicht.
„Die Mädchen werden ihn lieben“, sagt der Maler plötzlich auf Deutsch und dreht sich zu mir um. „Mein Enkel, ist er nicht ein süßer Kerl?“


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