Mutter Alma

Nein, sie war weiß Gott kein Rippchen. Klein und kompakt, mit kräftigen Oberarmen und einem ausladenden Busen stand sie wie ein Fels hinter dem Ladentisch in dem kleinen Kiosk in der Nähe vom Gelsenkirchener Bahnhof, verkaufte Zeitungen und Illustrierte, lauschte geduldig dem Gemecker über steigende Benzinpreise und ewig verspätete Züge, holte Zigaretten aus dem Regal und Süßigkeiten, und dachte sich ihr Teil, wenn zur späteren Stunde Schnaps verlangt wurde. Bier und Korn schob sie über den Tresen, aber nie für Kunden unter 18. Da hatte sie ihre Prinzipien. »Nimm lieber nen Dauerlutscher«, hatte sie neulich zu einem pickeligen Knaben gesagt, der Bier und Zigaretten verlangte. Und als der Hänfling frech wurde, hatte sie ihre 80 Kilo Lebendgewicht um den Tresen gerollt, die Fäuste in die Hüften gestemmt und drohend gesagt: «Hau ab oder du kriegst den Hintern voll.« Der Junge hatte fluchtartig den kleinen Laden verlassen. Sie fand das normal.
Ja, nach zwanzig Jahren kannte sie ihre Pappenheimer. Sie kochte Kaffee, machte Klopse warm, legte Bratwürste auf den kleinen Grill, und wenn sie Zeit hatte, stellte sie sich auch mal mit dem einen oder anderen Kunden draußen an den kleinen runden Tisch und ließ sich erzählen, was so lief im Revier.
»Mudda Alma« nannte man sie in der Nachbarschaft und schätzte sie als aufmerksame Zuhörerin, die allerdings niemals mit ihrer Meinung hinter dem Berg hielt.
»Hör auf zu saufen, Heinz«, hatte sie neulich gesagt. »Wenn du deine Familie behalten willst, dann hör auf zu saufen.«
Auch die Kinder liebten sie. Sie trocknete Tränen, wenn das Zeugnis schlecht ausgefallen war, verteilte Bonbons, wenn es zu Hause Prügel gegeben hatte. Alma Kalokowski fühlte sich wohl in ihrem kleinen Reich, hatten guten Kontakt zu ihren Kunden. Klar, der Kiosk lag in einem sozial schwachen Stadtteil. Aber welcher Stadtteil in Gelsenkirchen war nicht sozial schwach? Die Zechen waren zu, die meisten Industriebetriebe abgewandert. Die Arbeitslosigkeit wuchs, viele Menschen lebten von Sozialhilfe, der Migrantenanteil war überdurchschnittlich hoch.
Aber waren nicht auch ihre Großeltern aus Polen gekommen, hatten sich mühsam hochrackern müssen, waren Fremde gewesen, Polacken. »Rot und blau, Polacksfrau«, war noch ihre Mutter in der Schule gehänselt worden. Nein, Alma fühlte sich wohl in Gelsenkirchen, hatte ihre Arbeit, ihre Freundinnen. Die Kinder waren längst erwachsen, waren in den Süden der Republik gezogen, wo es gut bezahlte Arbeitsplätze gab. Heiner fehlte ihr, sicher, aber auch nach seinem Tod wollte sie hier bleiben, in der heruntergekommenen Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen, in ihrem alten Viertel. Hier war sie aufgewachsen, hier war ihr Zuhause, hier kannte sie alle. Nie und nimmer wollte sie hier weg.
Wenn sie gefragt wurde, ob sie nicht Angst habe, so viele Stunden allein im Kiosk zu arbeiten, hob sie die Augenbrauen. »Angst wovor?« »Na, vor Einbrechern, Räubern, Junkies. Steht doch immer in der Zeitung.«
»Papperlapapp«, sagte sie dann. »Mir tut keiner was. Ich kenne die Leute. Und außerdem habe ich einen Alarmknopf.« Und sie lächelte verschmitzt und zeigte auf einen unbestimmten Punkt unterhalb der Kasse.
Als dann eines Abends im Januar – es wurde schon um fünf dunkel – zwei  Gestalten in das Lädchen stürzten,  schwarze Pudelmützen übers Gesicht gezogen, »Geld her« riefen und mit einem Messer herumfuchtelten, drehte sie sich ganz ruhig vom Waschbecken um, in dem sie gerade ein paar schmutzige Kaffeetassen spülte, sagte ruhig: »Watt soll dat denn sein? Nen Tatort oder wat?«
»Kasse auf. Geld her!«, schrie der Größere. Und der andere mit kieksender Stimme: »Wenn  Ihnen Ihr Leben wat wert iss.«
»Donnerwetter«, sagte Alma. »Wohl zu viele Krimis geguckt, wa?« und trocknete seelenruhig die Tassen ab. »Macht euch nicht unglücklich, Jungs. Wenn ihr erst mal im Knast wart, geht et nur noch abwärts.«
»Halt die Schnauze, Alte«, sagte der Lange. »Und nu dalli, dalli!«
»Ach, nervös sind die Herren auch«, Alma kreuzte die Arme über ihrem Busen. Die Augen funkelten. »Et lohnt nich. Kaum wat inne Kasse.«
»Lüg nicht«, sagte sein Kumpel und hielt ihr ein Klappmesser vors Gesicht. »Los, mach schnell. Die ganze Knete. «
»Menschenskinnas, bewaffneter Raubüberfall. Wisst ihr überhaupt, wat dat heißt? Ganz schön viele Jahre im Knast. Haut ab, ehe et zu spät iss.«
Blaulicht, und dann hielten zwei Polizeiautos mit quietschenden Reifen vor dem Kiosk. »Ich hab’ s euch gesacht, Jungs!« Alma zuckte die Schultern. »Aber wenn ihr so dämlich seid.«
Mit gezogenen Pistolen stürmten die Polizisten in den Verkaufsraum. »Messer fallen lassen. Hände hoch.«.
Die Räuber wurden an die Wand gedrängt, abgetastet. Unter den schwarzen Wollmützen die bleichen Gesichter zweier Jugendlicher.
Alma beobachtete kopfschüttelnd, wie sie in den Polizeiwagen verfrachtet wurden. Natürlich hatte sie auf den Alarmknopf gedrückt auf ihrem Weg zur Kasse. Das waren keine Profis, dachte sie. Gottseidank nicht. Dumme Jungs. Aber sie mit dem Messer zu bedrohen, das ging zu weit. Ihre Knie wackelten nun doch ein bisschen , sie ließ erst einmal einen Cappuccino aus der Maschine laufen, nahm ein Päckchen Zigaretten, steckte sich eine  an und ging vor die Tür. Nee, ihre Nerven waren auch nicht mehr dat, wat sie mal waren. Blöde Kerle, noch nich trocken hinter die Ohren.
Sie drückte die Zigarette aus und warf den Stummel in den Abfalleimer. Kunden kamen und gingen. Alma kassierte, verkaufte die letzten Exemplare der Bild-Zeitung, schenkte Kaffee aus, tat Würstchen ins heiße Wasser, wuchtete einen Kasten Bier nach oben auf die Theke und verteilte die Flaschen im Kühlschrank.
Gegen 20 Uhr machte sie den Laden dicht, nahm die Kassette mit den Tageseinnahmen unter den Arm und hörte eine bekannte kieksige Stimme sagen: »Hände hoch.« Die Täter waren zurückgekommen. Klar, sie waren minderjährig, die Polizisten hatten die beiden wohl zu Hause abgeliefert. Wer einen festen Wohnsitz nachweisen konnte, den mussten die Beamten erst mal laufen lassen, so war die Rechtsprechung.
»Ihr schon wieder«, diesmal war Alma richtig sauer. »Tu bloß die Spielzeugpistole weg, Kleiner!« Sie versuchte, dem Jungen die Pistole aus der Hand zu schlagen. Ein Schuss löste sich. Es war keine Spielzeugpistole. Alma ging zu Boden. »Scheiße, besser wir hauen ab«, sagte der Lange. »Ich glaub, die Alte is tot.« Die Geldkassette ließen sie liegen.
Es war zum Glück nur ein Streifschuss in die Schulter, und nach zwei Wochen stand Alma bereits wieder in ihrem Kiosk, den Arm in der Schlinge. «So schnell lass ich mich  nicht bange machen«, sagte sie. »Nich von sonne Rotzbengel.«

 


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2 Responses to “Mutter Alma”

  1. Gravatar of Agnes Kondering Agnes Kondering
    29. Oktober 2014 at 15:56

    Die Geschichte gefällt mir sehr gut.
    Ich sehe richtig die Alma vor mir und kann mich auch über ihren Mut freuen.

  2. Gravatar of Gisela Gisela
    13. Dezember 2014 at 14:46

    Mensch Anne,
    Du schreibst so, als wärest Du dabei gewesen.Es liest sich wie ein spannender Tatsachenbericht. Ich glaube, Krimis zu schreiben, liegt Dir sehr.
    Weiter so!
    Gruß
    Gisela

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