Klettern in den Canadas

2013-11-03_13-37-59Juan, ein erfahrener Sportkletterer aus Santa Cruz, hat für mich den „Cinchado“, den „steinernen Baum“ ausgesucht, einen 30m hohen Basaltfelsen, der eher wie ein erhobener Arm mit drohender Faust aussieht als ein Baum. Er hat mir angeboten, mich zu begleiten und zu sichern. Die im Felsengebiet der Roques de Garcia schroff aus dem Geröll herausragende Felsnadeln sind aus aufgetürmtem Magma entstanden, das bei seinem Austritt erlosch und Basaltsäulen hinterließ. Eine Touristenattraktion. Hunderte von kleinen bunten Leihautos parken vor dem Parador. Touristen klumpen auf der Plattform, sehen die grandiose Felslandschaft durch das Display ihrer Kameras. Nur die Aktivsten unter ihnen sind aus ihren Sandalen geschlüpft, haben ihre Wanderschuhe geschnürt und machen sich auf den vier Kilometer langen Weg um das Massiv, so wie es die nette junge Frau im Visitor-Center empfohlen hat.

Am Fuß des „Cinchado“ ziehen wir die Kletterschuhe an. Das langärmelige T-Shirt, schützt beim Abrutschen vor ärgerlichen Hautabschürfungen. Die Hände reiben wir mit Magnesia ein, setzen den Helm auf zum Schutz gegen herabfallende Steine und Felsbrocken. Der Basalt sieht ziemlich bröckelig aus. Jahrtausendalte Verwitterung. Mit Strickleitern und anderem technischen Firlefanz brauchen wir uns ja gottseidank nicht abzugeben. Nur ein Klettergurt um Hüfte und Oberschenkel, die Express-Schlingen griffbereit an den Materialschlaufen des Klettergurtes. Juan befestigt das elastische Sicherungsseil ebenfalls an seinem Gurt, ich nehme das untere Ende in die Sicherung. Die ersten Meter sehen einfach aus. Die Basaltsäule hat viele Risse und Löcher, in die man die Hände legen, in denen die Füße Halt finden können.
„Schau mal, eine Frau“, höre ich einen Mann bewundernd sagen, als wir kurz verschnaufen und zurückblicken. Touristen staunen. Sicher und schnell, den Fluss der Bewegung ausnutzend, macht Juan den Vorstieg. Ich sichere ihn von unten. Nach etwa 30 Metern macht er Halt. Nun bin ich an der Reihe. Ich versuche, im selben Rhythmus zu folgen, sammle die „Exen“ ein, die an den in regelmäßigen Abständen in den Fels gebohrten Haken hängen. Nach kurzer Zeit schmerzen meine Unterarme wie verrückt. Ich arbeite immer noch zu viel mit den Händen. Jetzt bloß keinen Krampf, denke ich. Rufe Juan zu, kurz anzuhalten. Ich schüttele die Arme, um die Durchblutung wieder in Gang zu bringen, mein Blut mit Sauerstoff anzureichern. Auf meine Beine und Füße kann ich mich verlassen, auf meine Arme weniger. Ich brauche mehr Übung.
„Fallen die nicht runter?“, kommt eine kindliche Stimme zu uns herauf. Hoffentlich nicht, denke ich, aber das ist ja nicht meine erste Wand, und die Bedingungen sind ideal. Ich erreiche Juan, finde auf einem Felsvorsprung einen sicheren Halt, die präparierten Gummisohlen verhindern zum Glück jedes Abrutschen. Juan klettert weiter, hat das Tempo reduziert, sicher mir zuliebe. Der Schweiß läuft mir in die Augen, ich versuche, ihn wegzublinzeln.
Juan ist auf einem kleinen Felsvorsprung im oberen Drittel der Felssäule angekommen, hockt sich kurz hin. Ich bin 5 m unter ihm. „Mehr nach rechts, Frauke“, ruft er. „Por la derecha!“ Ich rutsche mit dem linken Fuß ab. Das Seil spannt sich. Eine Frau unten schreit auf. Nimm dich zusammen, konzentriere dich. Mein umhertastender Fuß findet wieder einen Vorsprung. Juan wartet, hält den Daumen hoch. Das letzte Stück zur „Faust“ ist einfacher. Keuchend lasse ich mich auf der abgerundeten Plattform nieder. Höhenangst habe ich nicht.
Wir nehmen beide einen Schluck aus der Wasserflasche. Die Sicht ist atemberaubend. Über uns der wolkenlos blaue Himmel. Im Rücken der Teide, aus dessen Krater leichter Schwefeldampf aufsteigt. Vor uns die „Kathedrale“, ein Felsensemble mit unzähligen Türmchen und Spitzen. Unter uns der Kessel, die
» Caldera da Canadas“ in seinen unterschiedlichen Formationen. Unfruchtbare, schwarze Lavaflächen mit spitzigem Gestein, Ascheberge, Mondlandschaften aus verwitterten Geröll- und Steinhalden, dazwischen gelb-braune Wüstenabschnitte, Sanddünen. Im Süden die „Azulejos“, ein grünliches Felsentor, durch das die Straße hindurchgehauen wurde. Weiter unten im Westen die dunklen Wipfel einiger verstreuter kanarischer Kiefern, wohl ein Aufforstungsprogramm.
Adrenalin durchflutet meinen Körper. Glück pur. Auch Juan scheint beeindruckt, obwohl er doch sicher schon ein paar Mal hier oben war. Als er aufsteht, das Seil in den Abseilhaken einhängt, reiße ich mich los. Noch einmal volle Konzentration. Die meisten Unfälle passieren beim Abstieg, das hast du mir ja auch eingepaukt. Zügig lassen wir uns am Seil hinuntergleiten, finden die Haken, stemmen uns mit den Füßen von der schwarz-braunen Felswand ab.
„Macht es Spaß, sein Leben zu riskieren“, fragt eine ältere grauhaarige Frau vorwurfsvoll, als wir unten sind. Ich gebe keine Antwort. Nein, ich bin nicht lebensmüde. Ich genieße das Klettern, und ja, auch das bisschen Risiko. Darf ich das nicht? Ich bin doch noch jung. Ich will meine Kräfte spüren.


Tags:

 
 
 

Schreibe einen Kommentar