Zustände wie im alten Rom

gladiators„Ich muss gehen, Liebes.“ Er küsste sie auf den schweißnassen Bauchnabel und rollte sich aus dem Bett. Magnus musste zur Arbeit. Er hatte eine Frau und zwei Kinder zu ernähren, und auch seine neue Geliebte Claudia erwies sich als äußerst anspruchsvoll.
„Schade“, seufzte sie und wand sich lasziv in den seidigen Laken. „Ich könnte noch mal.“
«Ich auch, Schatz», beeilte er sich zu erwidern, was glatt gelogen war. Er küsste sie flüchtig. „Morgen wieder.“

Ganz schön anstrengend die junge Frau, dachte er. Ob er das auf Dauer durchhalten konnte? Obwohl, mit Anfang 40 gehörte er wirklich noch nicht zum alten Eisen, auch wenn er auf den Bühnen der Umgebung mittlerweile um die Rolle des jugendlichen Liebhabers kämpfen musste. Er fuhr sich mit der Hand durch das lichter werdende Haar. Sollte er sich den Schädel kahl rasieren lassen? Den Sommer-Job als Reiseführer bei den diversen Römerfesten im Odenwald brauchte er dringend. Verkleidet als römischer Soldat führte er bildungshungrige Touristen am Limes entlang, zeigte ihnen die Türme und Palisaden, Bäder und Kastelle der römischen Kohorten. Für seine Rolle als Gladiator hatte er einen Fecht- und Kampfkurs absolviert. Er konnte sogar eine Pferdequadriga lenken. Echtes Ben-Hur-feeling vermitteln.
Vor der Museumskasse hatte sich eine längere Schlange gebildet. Magnus grüßte die Studentin im Kassenhäuschen mit seinem charmantesten Lächeln, blickte anerkennend auf das knappe, gut ausgefüllte T-Shirt und ignorierte ihr entnervtes Augenrollen. Federnd lief er zur Umkleide und hoffte, dass sie ihm nachschaute. In dem engen Raum im Untergeschoss des Museums traf er auf den zweiten Gästeführer, den jungen Kollegen Markus, der bei größerem Besucherandrang wie heute ebenfalls eine Gruppe begleiten sollte. Dieser Schönling, dachte Magnus, aber auf dieses Milchbubigesicht stehen die Touristinnen. Er hatte den jungen Mann auch schon erwischt, wie er Claudia hinter der Bühne schöne Augen machte. Natürlich hatte er Markus klargemacht, wie die Besitzverhältnisse lagen.
Am Ende des Rundgangs würde man die beiden Touristen-Gruppen zusammenführen, sie auf die steinerne Mauer der improvisierten Arena setzen und vor ihren Augen einen Schaukampf aufführen. Alles im Preis inbegriffen.
Magnus warf seine Jeans und das Muskel-Shirt über einen Haken, zog den ledernen, von einem breiten Gürtel gehaltenen Lendenschurz um, der den leichten Bauchansatz kaschierte, band die Riemen der Bein- und Armschienen fest, ergriff den kleinen runden Bronzeschild, der ihn im Zweikampf schützen sollte, fuhr mit dem Daumen über die stumpfe Blechklinge des Krummschwertes und hängte sich als letztes den schweren Bronzehelm über die Schulter, der den Kopf gut schützte, aber die Sicht extrem behinderte. Er warf einen Blick in den großen Spiegel und stellte wieder einmal fest, dass er gut aussah als thrakischer Kämpfer. Wie ein „Mann, nach dem die Mädchen seufzen“, so wurde der Gladiator Celadus in einer pompejischen Wandkritzelei beschrieben. Manchmal bedauerte er, das gebogene Kurzschwert nicht richtig einsetzen zu dürfen. Einigen Kollegen würde er mit Genuss die Klinge an die Kehle halten. Einigen Intendanten auch.
Magnus führte seine Gruppe zu dem kleinen ovalen Theater, das aus antiken Blöcken und Steinquadern wieder aufgerichtet worden war. In den unterirdischen Verliesen der großen Amphitheater warteten damals Christen und gewöhnliche Kriminelle darauf, Löwen und Tigern zum Fraß vorgeworfen zu werden. Tierhetzen und Hinrichtungen zogen sich den ganzen Tag hin. Erst am Nachmittag kam der glanzvolle Höhepunkt der Spiele: die Gladiatorenkämpfe. Und einen solchen Gladiatorenkampf sollten Magnus und Markus den Touristen demonstrieren, die sich – erschöpft von der Besichtigungstour – auf den sonnigen Steinen und Stufen niederließen,
Die römischen Kaiser und Adeligen, die die Spiele finanzierten, ließen unterschiedliche Gladiatorentypen gegeneinander antreten, um die Spannung zu erhöhen. Eigentlich sollte Magnus als Retiarier mit Netz und Dreizack gegen den mit einem Kurzschwert und großen Schild ausgerüsteten Samniten kämpfen, dessen prächtige Tunika und glänzender Brustpanzer bewundernde Kommentare hervorriefen. Aber das Netz war während einer der letzten Vorstellungen zerrissen, und so kämpfte er nun als Thraker und verfluchte innerlich den schweren Helm, unter dem ihm der Schweiß in die Augen rann. Zusammen betraten die beiden Gladiatoren die Arena. Sie stellten sich vor der Haupttribüne auf, senkten demütig den Kopf und grüßten den unsichtbaren Kaiser mit den berühmten Worten „Ave, Caesar, morituri te salutant!“ Die Todgeweihten grüßen dich.

Brot und Spiele, das wollten die Massen, damals und heute. Aber genauso wenig wie man heute einen gutbezahlten Fußballspieler umbringt, wenn er in einem Spiel versagt, so wäre es auch damals unsinnige Geldverschwendung gewesen, den unterlegenen Gladiator zu töten. Zwar kennt jeder Kinogänger das Bild des Siegers, der zum Imperator aufsieht, um zu sehen, ob der Kaiser den Daumen hebt oder senkt. Aber die Kämpfer waren kostbares Menschenmaterial, gut und vielseitig in speziellen Gladiatoren-Schulen ausgebildet und viel zu teuer, um sie reihenweise abzuschlachten. Schon gar nicht, um in den Außenbezirken des Reiches die römischen Soldaten mit Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen bei Laune zu halten.

Magnus liebte den Showkampf. Es war eine gute Gelegenheit, in der Öffentlichkeit seine Fitness unter Beweis zu stellen. Zum Glück musste er als Thraker keinen Brustpanzer tragen, so dass die weiblichen Zuschauer das Spiel der Muskeln auf seinem schweißnassen Oberkörper bewundern konnten. Eine großflächige Tätowierung des Kriegsgottes Mars zierte seine linke Schulter. Er überprüfte noch einmal die Klinge seiner Schwertrequisite. Es war technisch schwierig, einen gebogenen Dolch wie ein normales Kurzschwert im Griff verschwinden zu lassen, also musste er sicher gehen, dass die Klinge den Kollegen nicht verletzen würde. Atemlose Stille. Die Kontrahenten umkreisten sich langsam. Ein plötzlicher Ausfall des Gegners. Die Menge stöhnte auf. Magnus parierte den Hieb geschickt mit dem Schild. Sie kreuzten die Klingen, wichen aus, ließen sich aus dem Stand fallen, rollten über die Schulter ab, federten auf, begannen von neuem. Klirrend traf Stahl auf Stahl. Keuchende Laute, blutrünstige Schreie, Schimpfworte. Die Kämpfer mussten sich gar nicht groß anstrengen mit dem Stöhnen, denn es war mittlerweile brütend heiß in der Arena und der simulierte Kampf war kräftezermürbend. Verdammt, dachte Magnus, als der Jüngere ihn mit einem Tritt zu Boden stieß, nun übertreibt er. Ächzend richtete er sich auf, rieb seine Schulter, versuchte den Gegner durch die schmalen Sehschlitze im Helm zu fixieren. Es war ja festgelegt, dass er verlieren würde, aber musste der andere so hart zupacken? Wollte Markus den Frauen unbedingt zeigen, wie jung und beweglich er war?
Warte, du Jüngelchen, das werde ich dir heimzahlen, dachte er. Doch der nächste Angriff kam blitzschnell und unerwartet. Magnus flog auf den Rücken und hatte das Gefühl, seine Wirbelsäule würde brechen. Der Gegner kniete über ihm, riss ihm den Helm ab.
„Du geiler Bock. Ab jetzt wirst du Claudia in Ruhe lassen“, zischte der junge Mann und zückte das Kurzschwert.
Was dann geschah, konnte später niemand mehr so richtig rekonstruieren. Der Samnit bohrte das Schwert in den Brustkorb des Gegners. Der bäumte sich auf, Blut spritzte, Schaum sprudelte aus seinem Mund. Magnus sank zurück und blieb regungslos liegen.
Die Menge stand auf, johlte und beklatschte begeistert den blutigen Theatercoup. „Total echt“, sagte ein Mann bewundernd zu seiner Frau, “ brutal gekämpft.“
„Zugabe“, wurde gerufen, aber nichts geschah. Der Thraker lag zusammengekrümmt am Boden, das Blut sickerte in den Sand, der Samnit stand unbeweglich da und starrte auf seinen Gegner. Die Beifallrufe der Touristen ebbten ab, Unruhe breitete sich aus. Aber erst die Stimme eines kleinen Jungen „Mama, ist der Gladiator jetzt tot?“ brachte Bewegung in die Menge. Männer sprangen in die Arena. Und dann wurde allen klar, dass das Ganze kein Spiel war. Der Mann im Sand war tatsächlich tot.
Die Polizei kam gleichzeitig mit dem Notarzt. Im kriminaltechnischen Institut stellte man fest, dass in der Tat Sandkörner vom Boden der Arena den Griff des Kurzschwertes verunreinigt hatten, so dass im entscheidenden Moment wohl der Rückholmechanismus versagt hatte. Doch weder die Kriminalpolizei noch der ermittelnde Staatsanwalt konnten nachweisen, dass Markus absichtlich Sand in den Griff hatte rieseln lassen, um das Hineingleiten der Klinge zu verhindern. Er habe den Mechanismus vor dem Kampf überprüft, behauptete er. Alles habe einwandfrei funktioniert. Der Richter sprach den Angeklagten aus Mangel an Beweisen frei. Nur die Tatsache, dass Markus kurz nach dem Prozess mit Claudia zusammenzog, ließ wilde Gerüchte kursieren.
O tempora, o mores!

Thema: Römer

Erster Preis beim Krimi-Schreibwettbewerb des Odenwaldkreises 2012


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4 Responses to “Zustände wie im alten Rom”

  1. Gravatar of Peniuk Peniuk
    30. November 2012 at 14:50

    Mir gefällt „Zustände wie im alten Rom“ ausgesprochen gut . Ganz erfrischend, die Wende von der Erzählung zum Drama. Dass es kein „happy end“ gibt – abgesehen von ein paar Gerüchten- gefällt mir richtig gut. Endlich mal ein Ende, bei dem der Mörder nicht ordentlich verpackt in der Zelle endet. Pfiffig.

  2. Gravatar of Gisela Gisela
    5. Dezember 2012 at 21:36

    Spannender kann man wohl nicht schreiben. Schon beim Lesen hält man den Atem an. Einfach: ausgezeichnet!!!

  3. Gravatar of Agnes Kondering Agnes Kondering
    11. Dezember 2012 at 19:00

    Der erste Preis ist verdient.

  4. Gravatar of Christa Burmeister Christa Burmeister
    16. Dezember 2012 at 12:41

    Ja, da kann ich meiner Vorgängerin nur zustimmen. Der Spannungsbogen wird sehr geschickt aufgebaut mit einem für mich sehr überraschenden Ende, denn man erwartet natürlich, dass der schon etwas abgegriffene Lover seinen jüngeren Rivalen um die Ecke bringt.

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