Traumschiff

Auf hoher SeeNoch scheint die schräg stehende Augustsonne warm vom Himmel. Christina und ich hieven die Einkaufstüten an Bord der Yacht, die friedlich im dänischen Inselhafen Söby schaukelt. Die Schollen vom Kutter sind fangfrisch. Urlaubsende. Abschiedsessen.
«Der Hafenmeister hat eine Sturmwarnung mit Orkanböen für morgen Vormittag herausgehängt», sagt Gerald vom Vordeck her. Sorgfältig schließt er die Dose mit Klarlack und wäscht den Pinsel aus.
«Berit, wann geht dein Flieger?»
«Morgen Abend. Von Hamburg-Fulsbüttel.»
«Wir sollten versuchen, das Festland zu erreichen, ehe der Sturm aufkommt», schlägt Gerald vor.
«Unsinn», sagt Christina.
«Wieso Unsinn, liebste Gemahlin? Was ist, wenn wir hier auf Ärö einwehen?»
«Es wird gleich dunkel», Christina säubert seelenruhig einen der silberglänzenden Fische.
«Willst du lieber morgen bei Sturm fahren?» Gerald hebt die Stimme.
«Ja!»
«Wie, ja?»
«Du hörst doch, ich fahre nicht bei Nacht. Schlechte Sicht.»
«Sag mal, spinnst du.»
Warum habe ich mich überhaupt zu diesem Törn überreden lassen? Christina und Gerald haben mir von der dänischen Südsee vorgeschwärmt. Sonne und Wind. Sanftes Dahingleiten unter weißen Segeln. Traumurlaub. Wenn sie sich nur nicht dauernd angiften würden. Zwei Skipper auf einem Schiff.
Weit hinten am Horizont beginnt ein Wetterleuchten. Wir warten auf den Donner. Nichts. Das Meer ist spiegelglatt.
«Ich würde lieber sofort ablegen», sagt Gerald noch einmal. «Berit darf ihren Flieger nicht verpassen.»
«Nein, natürlich nicht. Und du tust natürlich alles, was die liebe Berit will.»
«Ich habe Angst», sage ich. «Ich würde losfahren, ehe der Sturm kommt.»
«Aye, aye», höhnt Christina. «Aber zuerst muss das Beiboot sauber gemacht und an Bord verholt werden. Dein Job, Gerald. Berit kann mir beim Kochen helfen.»
«Kochen?»
«Ja, kochen. Ich will erst essen, sonst läuft gar nichts.»

Zwei Stunden später – es ist dunkel geworden – sind wir endlich startklar. Ich spüle schweigend das Geschirr, Christina schlürft langsam ihr drittes Glas Wein.
Gerald startet den Motor, macht die Leinen los, springt an Bord.
«Lass mich ans Ruder, sagt Christina, «ich habe das GPS schon programmiert»
«Kannst du ausmachen. Ich fahre nicht nach GPS. Ich nehme die Seekarte.»
So ein Irrsinn, denke ich. Muss er ausgerechnet jetzt den Macho herauskehren?
«Was? Hast du sie nicht mehr alle, Gerald!»
«Ich habe vierzig Jahre Segelerfahrung. Ich brauche diesen neumodischen Scheiß nicht. Ich stecke den Kurs am Kartentisch ab.»
Er steigt in die Kajüte hinunter. Christina umfasst das Steuerrad und späht nach den Seezeichen in der Fahrrinne.
«Soll ich die Rettungswesten aus der Backskiste holen?», kommt Geralds Stimme von unten.
«Nun mach dir mal nicht gleich ins Hemd. Das bisschen Wind.», sagte Christina.
Ich ziehe den Reißverschluss meiner Öljacke hoch. Wir haben die Ostspitze von Ärö umrundet und erreichen das offene Wasser der Ostsee. Die Insel verschwindet im Dunst. Der Wind hat aufgefrischt. Die Yacht nimmt Geschwindigkeit auf und macht fast sieben Knoten über Grund bei stetigem Wind aus Nordost. In der Ferne zucken Blitze über den Himmel.

Die Stunden vergehen in absolutem Schweigen. Ich friere und versuche, meine Übelkeit zu bekämpfen. Das Meer hat eine lange Dünung entwickelt. Große Wellen treiben das Boot vom offenen Wasser in Richtung Kieler Bucht. An Steuerbord ist der Leuchtturm von Maasholm kaum zu erkennen. Plötzlich vor uns eine graue Tonne.
«Oh verdammt!» Christina macht eine heftige Bewegung.Das Boot schießt nach backbord. Gerald, der im Niedergang steht, wird rücklings in die Kabine geschleudert.
«Bist du von allen guten Geistern verlassen? Willst du mich umbringen?»
«Wäre vielleicht besser!»
«Berit, zieh bitte die Rettungsweste an, geh nach vorne und leuchte mit dem Scheinwerfer die Bucht ab. Die Tonnen sind im Dunst schlecht zu sehen», sagt Christina.
«Was meinst du, warum ich nicht im Dunklen fahren wollte?»Christina gibt sich wohl nie geschlagen.
«Quatsch nicht. Lass mich ans Ruder.»
«Warum?»
«Geh du mit Berit aufs Vorschiff und nimm den zweiten Strahler!»
«Nein!»
Gerald ist aus der Kabine herausgeklettert und versucht, seine Frau vom Ruder wegzudrängen. Sie klammert sich an das Rad, kämpft. Der Wind hat nach Südwest gedreht. Die Wellen kommen uns entgegen, klatschen gegen den Schiffsrumpf. Ich balanciere auf dem bockenden Schiff nach vorne. Halte mich krampfhaft an den Handläufen fest. Ein starker Regen hat eingesetzt. Heftige Böen bringen das Schiff immer wieder in Schieflage. Wortfetzen, Stöhnen, Schreie vom Cockpit her. Keiner von uns sieht die dunkle Wand, auf die wir in der Dunkelheit zuhalten. Eine Fregatte. Nahezu unsichtbar. Die Positionslichter in Nebelschleiern. Wie ein Geisterschiff. Ein knirschendes Splittern, als wir am Bug entlang schrammen. Wassereinbruch. Die Yacht legt sich auf die Seite.
Ich springe.

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