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2013-11-19_15-35-02Die blauen Wohnblocks der Hotelanlage  sind schon von der Küstenstraße aus zu sehen: das zwölfstöckige Fünf-Sterne-Hotel, links daneben ein hoher rechteckiger Block mit Ferienwohnungen und im von purpurnen Bougainvillearanken und scharlachroten Hibiskustträuchern überwucherten Park ein niedrig gebauter zweigeschossiger Pavillon mit Luxusapartments. Hellgraue, sorgfältig gepflegte Gehplatten führen uns von außen an der marmorgefliesten Empfangshalle vorbei zur Nordwestecke des Gebäudes. Salzig die Luft, das Rauschen der Brandung ist bis hierher zu hören.

„Kommen Sie doch herein!“ Die elegant gekleidete, schwarzhaarige Frau hat eine tiefe, raue Stimme. „Ich bin Valeriya.“

Sie gibt Wiebke und mir die Hand, küsst Marie-Theresa auf die Wange und hält uns die Glastür auf. Das Atelier, obwohl hell und lichtdurchflutet, ist angenehm kühl und riecht leicht nach Lavendel. Die bis an den Boden reichenden Glasscheiben werden durch ein Vordach geschützt, und vor dem Haus spenden die hohen kanarischen Dattelpalmen mit den langen gefiederten Wedeln Schatten. Neugierig treten wir näher.

Marie-Theresa – eine auf Teneriffa wohnende Freundin – hat Wiebke und mich mitgenommen zu Valeriya, die seit über 15 Jahren in Puerto de la Cruz wohnt und arbeitet, ursprünglich aber aus Oldenburg kommt. Das pechschwarze, streng zurückgekämmte Haar, die hohen Wangenknochen, die dunklen lebhaft blitzenden Augen lassen sie sogar nicht norddeutsch aussehen. Sie sei als Zweijährige mit ihren Eltern von Kiew nach Norddeutschland gekommen, erzählt die siebzigjährige Modedesignerin. Hier in Puerto de la Cruz habe sie sich eine neue Existenz aufgebaut.

„Sehen Sie sich um“, sagt sie und weist auf die weißen offenen Regale an der linken Wand, in denen Blusen, Kleider, Röcke, Hosen, Jacken, bunte Tücher hängen. Wiebke und ich kommen uns ein wenig deplatziert vor. Valeriya hat bei unserem Anblick nicht mit der Wimper gezuckt, auch wenn sie im Gegensatz zu uns perfekt geschminkt und elegant gekleidet ist. Zu dem ärmellosen, grau-schwarz gemusterten Seidenkleid trägt sie ein schwarzes Shirt mit drei viertel langen Ärmeln und – natürlich – schwarze elegante Ledersandaletten mit kleinem Absatz. Unser schlabberig-praktischer Freizeitlook mit halblangen Hosen, T-Shirt und ausgetretenen Sandalen passt nicht so recht ins Ambiente. Zumindest ich komme mir vor wie das hässliches Entlein bei „Deutschland sucht das Supermodel.“

Während Valeriya sich um die schicke Marie-Theresa kümmert, die ein schwarzes Spitzenkleid bestellt hat und nun zur ersten Anprobe gekommen ist, flippen wir zögernd durch das große Angebot. Mit zwei Fingern schieben wir die schlanken Holzbügel von rechts nach links, nehmen das eine oder andere Teil heraus, gehen zu dem großen Spiegel am Fenster, halten es vor den Oberkörper. Wiebke ist ganz verliebt in eine weiß-grüne Bluse im Zipfel-Look, ich liebäugle mit einer kurzen, blauen Jacke, weit und flott geschnitten.

„Ziehen Sie die Sachen an“, sagt Valeriya “ Erst dann können Sie sehen, was Sie mögen, was Ihnen steht.“ Sie winkt uns in den hinteren Teil der Boutique. Eine weiße Innenwand teilt die Hälfte des etwa 50 qm großen Raums ab, dient auch als Sichtschutz, sodass wir uns ungestört umziehen können.
Hier ist wohl auch der eigentliche Arbeitsbereich der Designerin: Schreibtisch mit Computer, ein breiter Zuschneidetisch, die deutsche Pfaff-Nähmaschine, ein großer geschnitzter Holzschrank an der Außenwand, deren Türen Valeriya öffnet, um uns ihre Stoffe zu zeigen.
Angenehme Überraschung. Alle, aber auch alle Kleidungsstücke, in denen wir uns vor dem großen Wandspiegel drehen, sind zu groß.
„Das mache ich immer so“, erklärt Valeriya. „Es ist viel leichter, Kleider enger zu machen als weiter.“
„Ja“, lacht  Wiebke.“ Und außerdem bekommen die Kundinnen bessere Kauflaune, wenn die Sachen zu groß sind und sie nicht aussehen wie in Pelle gepresste Würste.“

Vor ihrem Spiegelbild wiegt sie sich in den Hüften. Die Bluse ist lang wie ein Kleid, die Farben passen zu ihren grünen Augen. Valeriya hat ihr weiße Leggins gegeben, und nun hebt Wiebke neckisch einen Zipfel der Kleid-Bluse, streift die Sandalen ab, hüpft auf Zehenspitzen über die hellen kühlen Fliesen. „Wie findet ihr mich? Wie sehe ich aus?“

Marie-Theresa sitzt schon mit einem frisch aufgebrühten Cappuccino auf der kleinen weißen Holzbank vor dem Fenster und begutachtet uns kritisch, wenn wir in den vorderen sonnenhellen Teil der Boutique herausspaziert kommen.
„Reine Wolle mit einem Schuss Synthetik. Knittert nicht“, sagt Valeriya, als ich mir die graublaue Jacke überziehe. „Für Teneriffa zu warm. Aber in Deutschland können Sie die wahrscheinlich gut gebrauchen.“
Ich wende mich um, ziehe die Schultern hoch, drehe den Hals nach hinten, um einen Blick auf die Rückseite zu erhaschen. Nun sitzt die Jacke gar nicht mehr. Freundlich schiebt mich Valeriya wieder in Position, richtet die Schulterpolster.
„Ich werde Ihnen die Jacke abstecken, damit sie den richtigen Eindruck bekommen.“ Sie hat die Stecknadeln schon im Mund, macht die Jacke unter den Armen enger, nimmt von hinten Weite ab. Ich streiche über den weichen Stoff. Sieht schon klasse aus, das Jäckchen. Passt es zu mir? Zu elegant? Doch lieber ein Sommerkleid? Oder beides?
Geduldig zeigt uns Valeriya ihre Modelle, erklärt die Qualität der Stoffe, hilft bei der Anprobe, macht Farbberatung, gibt Tipps.

„Ich will, dass Sie auch noch zufrieden sind, wenn sie meine Kollektion später tragen: auf der Straße, beim Einkauf, auf einem Fest. Stoff, Farbe, Schnitt, alles muss zur Person passen.“

Wir glauben ihr. Und kaufen. Es gibt ja Geldautomaten.


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