Renovierungsarbeiten

»Wir haben Arbeitsteilung«, hatte Kai-Uwe gesagt, als wir meine alte Schulfreundin Sibylle zum ersten Mai in Velbert besuchten. »Ich kümmere mich um die praktischen Dinge wie kochen, putzen, Türe reparieren. Bille ist fürs Denken zuständig.« Verunsichert guckte ich in sein Gesicht. Kein süffisantes Lächeln, kein Sarkasmus. Der Mann meinte, was er sagte. Die Stimme weich, voll Hochachtung.
Der Besuch ist über fünf Jahre her. Kai-Uwe ist tot. Autounfall. Erst wollte Sibylle das Fachwerkhaus verkaufen, fühlte sich von dem alten Gebäude mit dem großen Garten überfordert. Die angebotenen Eigentumswohnungen fand sie jedoch überteuert und wenig originell. Als Frührentnerin hatte sie Zeit, sie würde das Haus renovieren lassen. Meinen Mann Peter bat sie, einen Blick auf die Renovierungsarbeiten zu werfen und sie beim Bau der neuen Terrasse zu beraten.
Der Septembermorgen war sonnig und warm. Im Vorgarten waren die Büsche ausgewachsen, es lag viel totes Holz herum, das Gras wuchs kniehoch, ein ausrangiertes Bettgestell streckte seine Rostbeine in die Luft.
»Grüne Hölle«, flüsterte Peter.
»Sieht schrecklich aus«, sagte Sibylle und lächelte ihr hilfloses Mädchenlächeln. »Aber ich bekomme das Zeug einfach nicht in meinen Mini.«
»Gibt es hier keine Container?« Halt die Klappe, du blöde Besserwisserin, schalt ich mich. Sibylle ist Wissenschaftlerin, die ist nicht so praktisch wie du.
„Hast du keinen Gärtner?«, fragte Peter.
»Der hat so wenig Zeit. Kommt immer nur kurz vorbei, schneidet Äste ab und ist wieder weg. Nun liegt alles rum.«
»Hmmm«, sagte Peter.
Wir gingen um das Haus herum, um uns die geplante Terrasse anzusehen. Ein kleines, rechteckiges Stück Rasen direkt vor der Terrassentür war ausgekoffert und dünn mit Sand bedeckt.
»Was meinst du?« Sibylle sah Peter an. »Hmmm«, sagte er wieder, und schritt die Seiten ab. »Viel zu klein. Außerdem hast du die Tür direkt im Rücken.«
»Nicht Feng-Shui-mäßig«, sagte ich. Niemand reagierte.
»Zieh das Rechteck bis zur Hauskante, dort stehen die Büsche und geben Schatten.«
Ich schaute verunsichert zu Sibylle. Das war Einmischung in fremde Angelegenheiten. Aber sie strahlte Peter an und strich mit einer anmutigen Bewegung ihre schwarzen – schwarz gefärbten? – Locken hinter die Ohren.
»Und wie soll ich das machen?«
War das ihr Ernst? Sie musste gar nichts machen. So was ließ man machen. Ich zerrte einen vergammelten Stuhl aus dem Gebüsch und hielt mein Gesicht in die Sonne.
»Hol mir mal bitte ein Stück Schnur, Bille!«
Nanu, mein Mann war aber schnell mit Kosenamen.
Peter nahm vier herumliegende Metallstäbe vom Rasen, rammte sie in den Boden. Sibylle verschwand im Haus.
»Schnur hat sie wahrscheinlich keine«, sagte ich. Aber sie hatte. Peter verband das rote Dekoband mit den Stäben. Die Terrasse hatte an Größe gewonnen.
»Wirklich viel besser«, sagte Sibylle. »Eine gute Idee. Danke!«
»Gern geschehen!«, sagte Peter.
Die Terrassenbauer kamen von der Mittagspause zurück. Der deutsche Meister mit seinem Gehilfen Adam. Ein Pole oder Russe, dem Akzent nach zu urteilen.
»Was ist hier los?« Des Meisters Blick war kritisch, der Ton barsch.
»Ich möchte eine größere Terrasse«, sagte Sibylle und wedelte entschuldigend mit den Händen.
»Warum das auf einmal?«, sagte der. »Der Auftrag lautet anders. Ich erfülle den Auftrag. Mehr nicht.«
»Aber man kann seine Meinung ändern«, mischte sich Peter ein. »Die
Terrasse soll verbreitert werden.«
»Dann machen Sie sie doch breiter«, sagte der Mann und schob Peter die Schaufel zu. Jetzt haut ihm Peter die Schaufel über den Kopf, dachte ich.
Doch Peter sagte ganz locker: »Wer zahlt, bestimmt. Das wissen Sie. Und wenn Sie den Auftrag nicht wollen, gehen Sie einfach nach Hause.«
Der Terrassenbauer zögerte. »Na gut«, sagte er. »Aber den Sand laden wir ab. Der ist bestellt.«
Er bellte Befehle, verschwand in seinem Kastenwagen, und Sklave Adam karrte eine Ladung Sand nach der andern heran und kippte sie auf den Rasen.
»Das ist doch viel zu viel«, sagte ich zu Peter. Sibylle war ins Haus gegangen, um Kaffee zu kochen. Endlich. Hoffentlich gab es auch ein Stück Kuchen. Musste ja nicht selbstgebacken sein. Peter zuckte die Schultern und schleppte einen rostigen Tisch herbei. Mit dem Ärmel wischte er den Staub ab.
»Deine Freundin soll hier nach Strich und Faden abgezogen werden. Ich denke, wir müssen ihr helfen.«
Ich nickte. Was ich nicht checkte, nicht wir, sondern Peter fühlte sich aufgerufen zu helfen. Und er half. Jede freie Minute fuhr er über den verstopften Ruhrschnellweg von Dortmund über Essen nach Velbert.
Peter und Sibylle wohnen nun in dem renovierten Fachwerkhaus, umgeben von einem gepflegten Garten mit einer großen Terrasse.
Ich überlege, ob ich unser Haus verkaufen und eine kleine Wohnung mieten soll. Ich bin mit Haus und Grundstück total überfordert.


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