Paradiesisch
Die Hunde hören sie schon von weitem. Helles, fröhliches Gekläff. Die Fahrt von Madrid über die Meseta bis an die Antlantikküste war anstrengend. Der kleine Peugeot holpert seit einer halben Stunde über die ausgetrockneten Spurrinnen des sandigen Dünenweges. Das Gästehaus soll am Meer liegen, ganz einsam am Rande eines Naturschutzgebietes.
»Wo es Hunde sind, gibt es auch Menschen, Piet«, sagt Evi zu ihrem Mann. Nach der nächsten Kurve kommen drei kniehohe, braun-weiß gefleckte Hunde kläffend und jaulend auf den Wagen zugerannt.
»Die wollen uns begrüßen«, sagt Evi und legt die Hand auf sein Knie. «Guck mal, wie die mit dem Schwanz wedeln!«
»Den Spruch kenne ich«, quetscht ihr Liebster zwischen den Zähnen hervor. »Und wenn sie uns beißen, sagt Frauchen, das hätten sie noch nie gemacht. »
»Nun mal mit der Ruhe«, sagt sie. »Bleib einfach stehen!«
Evi öffnet die Wagentür und geht langsam, mit herunterhängenden Armen und offenen Händen auf die Hunde zu. Sie kommen in großen Sprüngen, bellend und schwanzwedelnd, auf sie zu, schnuppern an ihren Händen, tanzen um sie herum.
»Lina, Perro, die ganze Bande zurück! Lasst unsere Gäste in Ruhe ankommen!«
Eine schlanke Frau mit dunklem Wuschelkopf ist in der Kurve aufgetaucht, kommt lächelnd auf sie zu.
»Herzlich willkommen! Ich bin die Charlotte. Fahrt den Wagen bis zum Parkplatz am Haus. Die Hunde tun euch nichts.« Küsschen rechts. Küsschen links, spanische Begrüßungsfloskeln. Que tal?
Evi und Piet tragen die Koffer ins Haus, gehen durch die geräumige Küche an der großen Arbeitsplatte vorbei, auf der Charlotte angefangen hat, einePaella zuzubereiten. Das helle, sparsam mit spanischen Möbeln eingerichtete Doppelzimmer gefällt ihnen.
»Wenn ihr morgens das Rollo hochschnappen lasst und das Fenster aufmacht, scheint euch die Sonne direkt auf den Bauch«, sagt Charlotte.
Bei offenem Fenster hört man das Meer rauschen. Schäumend brechen die Atlantikwellen, weiße Gischtzungen laufen am Strand aus. Auf dem sanft abfallenden Hang vor dem Haus liegen ein Surfbrett und ein Seekanu.
»Andere Gäste gibt es zur Zeit nicht«, sagt Charlotte. »Fühlt euch wie zu Hause.«
»Da können wir ja morgens nach dem Aufstehen sofort nackig ins Meer springen«, schlägt Evi vor.
»Wie im Paradies«, sagt Piet.«
»Warte, bis die Schlange kommt«, sagt Evi und küsst ihn.
Am Abend sitzen sie auf der mit Weinranken überdachten Terrasse und genießen die Paella. Sie sind zu dritt, wenn man die drei Hunde und die zwei Katzen nicht mitrechnet, die es sich unter dem Tisch bequem gemacht haben.
»Die Hunde sind mir zugelaufen«, sagt Charlotte. »Die sind alle wohl ausgesetzt worden. So sind die Spanier! Herzlos. Der Tierarzt hat sie erst mal entfloht. Habe sie dann hochgepäppelt.«
»Und die Katzen?«, fragt Evi verunsichert. Charlotte hebt den schwarz-grau gestreiften Tiger auf den Schoß. »Ein schönes Tier, nicht wahr?«, sagt sie. »Hat mir ein Kunde geschenkt. Madame hier«, sie zeigt auf die kleine pechschwarze Katze, »war eines Tages einfach da. Ich habe sie natürlich sofort sterilisieren lassen.« Sie fasst unter den Tisch, streichelt den Kopf des Tieres, das sofort mit der Zunge über ihre Hand leckt. Piet verzieht das Gesicht.
»Du bist wohl sehr tierlieb«, sagt er. »Was hat dich in diese Einsamkeit verschlagen?«
Charlotte erzählt. Sie erzählt gerne und ausführlich. Ihr Leben ein einziges Abenteuer. Studium abgebrochen, in Kneipen gejobbt, mit einem Typen abgehauen nach Südspanien. Sie kauften für ein paar tausend Mark – Papas Geld – eine Ruine am Meer. Völlig runtergekommen. Friedhelm hatte geschickte Hände, das Haus wurde so groß, so dass sie Zimmer an Gäste vermieten konnten und eine sichere Erwerbsquelle hatten. Dann schmiss sie den Typen raus, wie sie sagte. Er sei ihr auf die Nerven gegangen. Das Haus sei auf ihren Namen eingetragen.
Die Vermietung lief gut, Gäste kamen in Scharen. Der Bedarf nach Häusern wuchs, immer mehr Engländer, Deutsche, Franzosen suchten am Meer ein Feriendomizil. Charlotte fing an, als Immobilienmaklerin zu arbeiten. Erst in Kommission für eine größere Firma, später auf eigene Kosten.
»Ich stecke mir das Geld lieber selbst ein. Ist auch steuerlich günstiger, weniger von den Behörden zu kontrollieren. Seit dem Baustopp sind hier am Meer die Grundstückspreise ins Unermessliche gestiegen. Übrigens, sollten wir nicht noch eine Flasche Rotwein aufmachen?«
»Die hält sich doch für superschlau«, sagt Evi abends zu Piet. «Sie weiß alles, kann alles. Ist ja nicht zum Aushalten. Und wieso hat sie nicht mehr Gäste?«
»Es scheint zur Zeit keinen Mann in ihrem Leben zu geben«, sagt Piet.
»Dann greif doch zu!«, sagt Evi.
Sie legt sich ins Bett und zieht die Decke über die Ohren. Wehrt Piet ab, der sich zu ihr hinüberrollt.
Am nächsten Morgen scheint ihnen die Sonne tatsächlich auf den Bauch, als sie das Fenster öffnen. Charlotte ist nirgendwo zu sehen. Ein Zettel liegt auf dem Tisch, sie sei unterwegs, sie habe Kunden. Nach dem Frühstück schleppen sie zwei Sonnenliegen hinunter an den Strand. Das Wasser ist kühl und erfrischend. Evi schwimmt weit hinaus. Piet versucht, das Surfboard aufzuriggen. Evi hört seine Jubelschreie, als er an ihr vorbeirauscht. »Geil! Geil!«
Am Abend kommt Charlotte sehr spät zurück. Sie hatten schon geschlafen. Evi wird wach, schaut aus dem Fenster und sieht Charlotte , die auf der Terrasse sitzt, einen Schal um ihre Schultern, einen Hund auf ihrem Schoß, denn Kopf auf der Tischplatte. Vor ihr eine leere Flasche Rotwein,
»Morgen fahren wir«, sagt Evi und rüttelt Piet. »Ich jedenfalls fahre!«
Piet brummelt Unverständliches.
»Was ?«
»Ich bleibe noch«, sagt Piet. Er dreht sich auf die Seite mit dem Gesicht zur Wand.
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