Nimm mich mit, Kapitän!
Wie konnten diese beiden jungen Frauen nur in diesen Schlamassel geraten?, fragte sich der Leiter der Mordkommission in Cairns. Zwei deutsche Touristinnen lagen halb verdurstet und mit dramatischen Verbrennungen im Hospital. Ob sie vergewaltigt worden waren, war nicht sicher, aber es bestand der begründete Verdacht. Die Ärzte wussten nicht, ob sie überleben würden.
Ein Ausflugsdampfer hatten die beiden Frauen – in einem Schlauchboot auf den Wellen treibend – in der Nähe des Great Barrier Reef gefunden: bewusstlos, die Haut rot verbrannt unter der erbarmungslosen Sonne.
Nach dem Besuch im Krankenzimmer, in dem der Kommissar schweigend und erschüttert am Bett der jungen Frauen gestanden hatte, die immer noch im künstlichen Koma lagen, hasste er wieder seinen Job – wie schon so oft in den letzten Jahren. Er wollte dieses Elend nicht mehr sehen, er konnte es nicht mehr ertragen, Verbrecher zu jagen in einer Welt, in der die Brutalität immer mehr zunahm. Er starrte auf die bewusstlosen Frauen und dachte an seine beiden Töchter, wenig jünger als die beiden Touristinnen.
»Wie schlecht denkst du immer über Männer«, lachten seine Teenagertöchter ihn aus, wenn er sie ermahnte, vorsichtig zu sein, keinen fremden Männern zu vertrauen. »Wir sind doch keine Babies mehr, Daddy«, sagten sie und umarmten ihn. »Und du bist doch auch ein Mann!«
»Eben«, sagte er.
Wie kamen die zwei Frauen in das Schlauchboot? Wollten sie von einem Sightseeing-Boot aus näher an die Korallenriffs hinausrudern? Waren sie ausgesetzt worden? Es lag keine Taucherausrüstung im Boot, keine Sauerstoffflaschen, noch nicht einmal Wetsuits.
Seine Kollegen hatten jeden maritimen Anbieter in Cairns und Umgebung überprüft, der Ausflüge zu den Riffs anbot oder Tauchkurse verkaufte. Ein zeitaufwendiges Unterfangen, denn bei dem jährlich wachsenden Ansturm von Touristen war auch die Zahl der Anbieter mittlerweile unübersichtlich.
Das australische Fernsehen gab eine Suchmeldung heraus mit dem Foto der beiden Touristinnen. Tagelang meldete sich niemand, bis schließlich ein Weinbauer aus Barossa anrief. Ja, er kenne die Frauen, sie hätten im März auf seinem Gut bei der Weinlese geholfen, two nice girls from Germany, gute Arbeiterinnen, zuverlässig. Nach der Weinlese wollten sie in den Norden ziehen, nach Cairns in den tropischen Teil Australiens. Das Great Barrier Reef habe sie gereizt. Mit dem verdienten Geld wollten sie einen Tauchschein machen, die Unterwasserwelt im Korallenriff erleben. Sie hatten versprochen, auf der Rückreise wieder vorbeizukommen, sagte der Mann und seine Stimme wurde rau.
«Ich wollte Kristina überreden zu bleiben«, sagte er. »Sie hatte sich aber gerade von ihrem Freund getrennt, wollte keine neue Bindung, erst einmal ihr Leben genießen. Konnte ich ja verstehen.«
Konntest du nicht, dachte der Kommissar.
»Bis zum Schluss habe ich gehofft, Kristina umstimmen zu können«, sagte der Anrufer und seine Stimme wurde leise. »Schulterlanges, braunes Haar, einen wunderschönen Mund, und ihr Lächeln … « Er brach ab.
»Dann hat sie wohl zu viel oder zu wenig gelächelt«, sagte der Kommissar trocken, »zumindest dann, als sie auf ihre Vergewaltiger stieß.« Er riss sich zusammen. Zynismus war hier fehl am Platze. Der Mann schien wirklich betroffen.
»Entschuldigung, aber wir tappen hier völlig im Dunklen. Und Sie wissen auch nichts über weitere Pläne, außer dass die beiden einen Tauchkurs machen wollten?«
»Die Freundin, die kleine Blonde, Svenja hieß sie, heißt sie, die war ganz verrückt aufs Bootfahren. Die wollte unbedingt auf einen Prawn Trawler, so einen, der wochenlang auf dem Pazifik herumschippert, um Krabben zu fangen. Das habe ich den beiden aber ausgeredet. Zwei junge Frauen, ausgeliefert an eine Horde Männer. Völlig verrückt!«
Der Kommissar seufzte. Das hätten exakt seine Worte sein können. Und seine Töchter hätten gesagt: »Aber, Daddy!«
»Entschuldigung, ich wollte keine Vorurteile gegen Seeleute schüren«, sagte der Mann.
»Ist schon gut«, sagte der Kommissar. »Und wenn sie sich doch haben mitnehmen lassen?«
Er nahm das Telefon ab, tippte eine Nummer ein und bat seinen Assistenten, alle in den letzten Wochen ausgelaufenen Fischerboote aufzulisten.
»Wahrscheinlich suchen wir die Nadel im Heuhafen«, sagte er zu dem Weinbauern, »aber wir dürfen nichts unversucht lassen. Es kann sein, dass wir Sie zur Identifizierung brauchen. Wir melden uns.«
Ein alter Fischer, der morgens am Pier gesessen und geangelt hatte, lieferte den Tipp.
Ja, er habe das Ablegen der Rose Amelia beobachtet und gesehen, dass zwei Mädchen mit an Bord gegangen seien. Wie alt die waren? Das könne er nicht sagen. Um die zwanzig oder so. Je älter er würde, desto jünger erschienen ihm die Girlies, sagte er, grinste und schob den Priem in die andere Backentasche. Er habe sich noch gewundert, was die auf dem ollen Trawler wollten unter all den verrückten Fischern.
»Und das Schiff hieß Rose Amelia?«, fragte der Kommissar.
»Ja, und die ist gestern wieder eingelaufen.«
Noch am Abend wurde die gesamte Mannschaft festgenommen. Zermürbende Verhöre begannen. Die Männer stritten ab, die Frauen zu irgendetwas gezwungen zu haben. Die seien freiwillig mitgekommen. Sie sollten kochen, so hieß die Vereinbarung. Kochen und putzen als Austausch für eine spektakuläre Fishing Tour am Great Barrier Reef. Die Frauen hätten gewusst, auf was sie sich einließen.
»Heiße Fotzen seien das gewesen«, sagte einer der Fischer und der Kommissar schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Ihr habt sie vergewaltigt und in das Schlauchboot gelegt. Ohne Ruder. Ohne Sonnenschutz. Ohne Wasser. Und ihr habt gehofft, dass die Strömung das Boot aufs offene Meer hinaustreibt und sie dort verdursten und verhungern.«
»Nonsense«, sagten die Fischer. Die Frauen seien von Bord gesprungen, als das Verpflegungsboot anlegte. Die Mannschaft hätte sogar die Rucksäcke hinterhergeworfen.
»Das ist ja eine ganz neue Variante«, sagte der Kommissar. »Und was für ein Versorgungsboot?«
Das wüssten sie nicht. Sie hätten per Funk Benzin und ein paar Ersatzteile angefordert, wie das hier so üblich sei. Keine Ahnung, von welcher Firma. Irgendein Schiff in der Nähe. Und im Übrigen wollten sie einen Anwalt. Ohne Anwalt würden sie nichts mehr sagen.
»Es gibt ein Logbuch«, sagte der Kommissar trocken. »Langsam habe ich von der ganzen Lügerei die Schnauze voll. I`m really fed up!«
Ein Anruf aus dem Krankenhaus. Eine der jungen Frauen sei zu sich gekommen, die kleine Blonde. Svenja bestätigte die Aussagen der Fischer.
»Na klar, haben wir uns bedroht gefühlt von den Kerlen. Nachts haben die immer Pornos geguckt. Wir haben uns in der Kajüte eingeschlossen vor Angst. Mit einem Küchenmesser in der Koje.«
»Und weiter?«, fragte der Kommissar.
Dann sei dieses Schnellboot gekommen mit den Versorgungsgütern, sagte Svenja, und sie hätten die beiden jungen Männer an Bord angefleht, sie mitzunehmen. Die Jungs seien sehr nett zu ihnen gewesen. Sehr höflich, sehr zurückhaltend.
»Schade eigentlich«, sagte sie. »Besonders der mit den schwarzen Locken, der sah toll aus!«
Ich flippe gleich aus, dachte der Kommissar. Wenn das meine Tochter wäre, ich würde sie verprügeln.
»Was passierte dann?«, fragte er und zwang sich, ganz ruhig zu bleiben. Diese dummen, naiven Gänse …
»Wir haben an einer kleinen Insel angelegt. Palmen, blaues Wasser, wir sind geschwommen. Haben Party gemacht am Strand. Die hatten auch Wein an Bord. Und so kleine blaue Pillen.«
»Drogen ?«
»Ich weiß nicht. Wir waren alle gut drauf. Aber ich muss dann wohl eingeschlafen sein. Und vorhin, als ich aufwachte, war ich plötzlich im Krankenhaus. An diesen Schläuchen. Und alles tut mir weh.«
Sie fing an zu weinen, richtete sich auf, blickte sich im Zimmer um.
«Wo ist Kristina? Oh Gott, Kristina! Wo ist Kristina? Ist sie tot? Ist meine Freundin tot?«
»Ich hoffe nicht«, sagte der Kommissar.
Es klopfte, ein Arzt betrat leise das Zimmer.
»Es tut mir leid …«, sagte er.
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