Sommeridylle

Landwein - Hochformat„Möchtest du noch einen Schluck Wein, Frederik?“ Roswitha lächelt ihn  an und greift mit der Hand in den Picknickkorb. Wie schön ist es, jetzt mit ihm zusammen hier auf dieser blühenden Sommerwiese zu sitzen. Sie hat sehr kämpfen müssen um dieses gemeinsame Wochenende. Frederik ist so viel ängstlicher als sie. Aber ist es denn wirklich so schwer, der Ehefrau zu erzählen, dass er nach einem Symposium über Wirtschaftfragen von Kollegen noch eingeladen worden ist, ein paar Tage länger in Nizza zu bleiben. Roswitha hat ohne Probleme einen Ryanair-Flug buchen können und freut sich auf die Tage mit ihrem charmanten Professor, der so ganz anders ist als  ihre lärmenden angeberischen Kommilitonen.
„Ich liebe dich, Schatz“, Frederik hält sein Weinglas hoch. Eigentlich weiß er, dass er Alkohol am Tag nicht so gut verträgt, aber er ist selig, hier mit Roswitha sitzen zu können und die häuslichen Sorgen und den beruflichen Stress zu vergessen .Die Luft ist dünn geworden im universitären Bereich, man neidet ihm seine guten Kontakte zur Wirtschaft. Böse Zungen behaupten, er hätte diese Kontakte nur seinem Schwiegervater zu verdanken, dem hoch angesehenen Wirtschaftweisen und Dekan einer großen westdeutschen Universität. Seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen ließen in letzter Zeit auch zu wünschen übrig. So ein Unsinn, dabei arbeitet er doch Tag und Nacht. Auch Marie beklagt sich schon, er habe zu wenig Zeit für sie und die Kinder. Sie ist überhaupt sehr schwierig in letzter Zeit. Was erwartet sie eigentlich? Dass es im Bett immer noch so klappt wie vor zwanzig Jahren? Meine Güte, er ist älter geworden und sie auch. Sie ist immer noch eine elegante eigenwillige Frau, der Mittelpunkt bei jedem Empfang. Er ist stolz auf sie, aber die getrennten Schlafzimmer sind eine Erlösung.
Eigentlich will auch Roswitha viel zu viel von ihm. Meine Güte, sind die jungen Frauen heute sexbesessen. Aber immerhin ist sie jung und spontan und liebt ihn wirklich. In ihren Armen kann er sich wieder als Mann fühlen.
„Ich liebe dich auch, ich möchte mit dir leben.“ Frederik wird aus seinen Gedanken gerissen. Was hat sie gesagt? „Ach, ja, ich auch. Das wäre schön.“
„Wieso wäre? Warum tun wir es nicht? Du hast doch gesagt, dass du und deine Frau, dass ihr gar nicht mehr miteinander schlaft.“
„Ja aber, aber… Ich kann doch nicht einfach. .. Nein, nein, und da sind noch die Kinder. Nein, das kann ich ihnen nicht antun.“ Hoffentlich verdirbt sie uns jetzt nicht das Wochenende denkt er und sieht sie bittend an. „Das muss du verstehen. Vor allen Dingen nicht so schnell…“
„Schnell? Wir kennen uns seit einem Jahr. Und ich bin die Heimlichtuerei satt. In der Öffentlichkeit tust du so, als  würdest du mich nicht kennen. Das ist auf Dauer ziemlich demütigend.“
„Aber, Liebling, lass mir noch ein bisschen Zeit. Du bist jung und unabhängig, aber ich bin in so viel Zwängen gefangen…“
„Papperlapapp, in Zwängen gefangen. Du willst nur nicht.“ Roswithas Stimme wird höher. „Du liebst mich nicht wirklich. Ich bin für dich nur ein Zeitvertreib.“ Tränen rinnen ihr übers Gesicht.
Er streicht ihr übers dichte lockige Haar, redet besänftigend auf sie ein. „Du weißt, dass das nicht stimmt, was du sagst. Ich liebe, du hast meinem Leben wieder einen Sinn gegeben. Nur mit dir fühle ich mich lebendig“
„Aber warum…“
„Roswitha“, eine leichte Ungeduld ist in seiner Stimme zu hören, „wir haben schon so oft darüber gesprochen, verdirb uns nicht die paar schönen Tage. Wir werden eine Lösung finden, hab doch ein wenig Geduld.“
„Geduld, Geduld. Das sagst du immer. Wann redest du endlich mit deiner Frau? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass sie nicht merkt, dass etwas nicht stimmt. “
„Roswitha, bitte. Ich kann ihr das im Moment nicht antun. Die Kinder werden flügge, Marie ist in den Wechseljahren, nein, nein, das wäre zu viel für sie. Das kann ich nicht verantworten.“
„Aber du kannst verantworten, mir wehzutun. Du kannst verantworten, mich immer wieder zu demütigen. Weißt du was, wenn du es nicht kannst, ich kann es. Ich werde mit deiner Frau reden.“
„Was ?“ Er springt auf. „Das wirst du nicht tun. Das ist allein meine Sache.“
Auch sie ist aufgestanden und blickt ihn wütend an. „Du wirst dich wundern, was ich alles kann, Herr Professor. Ich spiele nicht mehr mit. Entweder sprichst du mit deiner Frau oder ich sage es ihr.“ Sie zückt ihr Handy. „Wir können das auch sofort erledigen.“
„Nein, bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Er packt ihre Handgelenke, will ihr das Handy entreißen. Sie wehrt sich.
Plötzlich sackt er zusammen. Er presst seine rechte Hand auf die Brust. Seine Lippen werden weiß, er ringt nach Luft, sinkt zu Boden. Entsetzt beugt sie sich über ihn „Das wollte ich nicht. Frederik, Frederik, Liebling!“
Er hört sie nicht mehr. Der über das Handy herbeigerufene Notarzt kann nur noch den Tod feststelle: Herzversagen.
Eine von der Familie erbetene Obduktion ergibt als Todesursache eine Unverträglichkeit zwischen einer Herz-Kreislauf-Medikation und einer hohen Dosis von Viagra.


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2 Responses to “Sommeridylle”

  1. Gravatar of Gisela Gisela
    28. August 2010 at 18:01

    lesenswert, wirklich gut, flüssig geschrieben

  2. Gravatar of Inge Haller Inge Haller
    21. Oktober 2010 at 00:14

    gut geschrieben mit überraschendem Ende. Klingt gut obwohl es bei keiner Obduktion entdeckt würde, aber das macht nichts. Mich stört nicht sosehr das Wort „lieb“ als „wohlgefüllter“ Picknickkorb, laß das wohl einfach weg.

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