Der Apfel
Puh, war das ein hartes Spiel. Die Jungen vom SV Grambke haben ganz schön gefoult. Aber wir waren besser. Eindeutig. Und als Thomas mir in den letzten Minuten den Ball zugespielt hat, da stand ich frei und habe geschossen und „Tor“ haben alle geschrien. Und alle haben mich umarmt und wir sind vor Freude auf dem Rasen herumgehüpft. Schade, dass Papa das nicht gesehen hat. Seit er nicht mehr bei uns wohnt, kommt er gar nicht mehr so oft zum Zugucken. Aber abholen wird er mich, das hat er versprochen. Wo bleibt er nur? Die anderen Eltern gehen schon zu ihren Autos. „Nein, ich will nicht mitfahren. Danke. Mein Papa holt mich ab.“
Hunger habe ich. Was hat Mama mir eingepackt? Einen Apfel? Muss ich den wirklich aufessen? Mama weiß ganz genau, dass ich Obst nicht gerne mag, am allerwenigsten Äpfel.Und der hier hat braune Flecken. „Macht nichts“, würde Mama sagen, „der ist von unserem Baum, nicht so eine künstliche Sorte aus dem Supermarkt.“ Soll ich ihn einfach wegschmeißen? Aber das traue ich mich nicht so richtig, denn dann müsste ich Mama anlügen, wenn sie fragt, ob ich ihn aufgegessen habe. Und wenn sie das merkt, wird sie wieder ihr trauriges Gesicht machen und sagen, sie werde immer nur angelogen. Sie ist überhaupt so komisch in letzter Zeit. Gar nicht mehr so lustig wie früher.
Papa und ich, wir sind beide Werder-Fans. Er hat früher bei Werder in der Jugendmannschaft gespielt, sagt er. Aber dann hat ihn einer gefoult und er ist zu Boden gestürzt und hat sein Knie angebrochen. Und seitdem kann er nicht mehr so gut spielen. Aber er geht oft am Wochenende mit mir ins Stadion. Er hat sogar eine Jahreskarte für die Ostkurve. Ich kenne die Namen aller Spieler. Papa und ich, wir notieren uns die Spielergebnisse aller Heim- und Auswärtsspiele. Im letzten Jahr ist er sogar mit mir nach München geflogen. Allianz- Arena, das war geil. Und dann hat Werder gegen Bayern-München 5:2 gewonnen. Und wir haben gejubelt und geschrien und unsere grün-weißen Fähnchen geschwenkt. Und Papa hat mir ein neues Werder-Trikot und die passende Baseball-Kappe gekauft. Richtig cool. Und das ziehe ich jetzt immer zum Training an. Am liebsten würde ich die Sachen auch in der Schule anhaben. Aber das erlaubt Mama nicht. Mama ist überhaupt viel strenger. Wenn ich erzähle, dass Papa nach einem Spiel mit mir immer zu McDonald geht und mir dort einen Big Mac kauft und ich so viel Cola trinken darf, wie ich will, dann runzelt Mama immer die Stirn. Das passt ihr überhaupt nicht und neulich hat sie was von „schlechtem Gewissen“ gemurmelt. Habe ich nicht verstanden. Wer hat ein schlechtes Gewissen? Na egal, ich erzähle Mama einfach nicht mehr so viel. Ich glaube, dass ist besser. Aber ehrlich, ich würde gerne auf die Cola und den Hamburger verzichten, wenn Papa wieder nach Hause käme.
Sie verstünden sich nicht mehr, hat Mama gesagt. Und Papa sei erst mal in eine eigene Wohnung gezogen. «Vorübergehend», sagt sie, aber das glaube ich ihr nicht. Sie hat zwar ganz ruhig gesprochen, aber ihre Augen waren rot und sie hat mich nicht angeguckt.
„Bringt Papa mich nie mehr zum Training?“, habe ich gefragt. Mama hat gesagt, dass ich den Bus nehmen kann, denn ich sei schon ein großer Junge. Im Moment habe er nicht so viel Zeit, sagt Papa. Einmal hat er sogar vergessen, mich vom Spiel abzuholen. „Der hat nur seine Freundin im Kopf“, hat Mama gesagt. Dann soll er doch abhauen. Wenn er die Freundin lieber hat als mich, dann will ich ihn auch nicht mehr sehen. Mein Freund Julian wohnt auch bei seiner Mutter. Sein Vater hat eine neue Familie, sagt er. Und da will er auch nicht hin. Da kümmern sich alle sowieso nur um das neue Baby. Da sitzen wir lieber zusammen und machen Spiele am Computer. Das macht Spaß. Und Chips und Limo können wir haben, soviel wir wollen, denn seine Mutter arbeitet immer bis abends.
Wo Papa nur bleibt? Er kommt ganz bestimmt, hat er versprochen. Ich habe eine Idee. Ich werde den ekligen Apfel jetzt ganz langsam essen. Und dann, wenn ich ihn aufgegessen habe, dann wird Papas rotes Auto um die Ecke biegen. Und er wird hupen und mir die Tür von innen aufmachen. „Wie war’s, Kumpel?“, wird er fragen. „Haste nen Tor geschossen?“ Und dann fahren wir zu McDonald.
Da kommt unser Trainer angerannt. Was will der denn? „Ich bring dich nach Hause, Jonas. Dein Vater hat angerufen, ihm ist was dazwischen gekommen. „
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