Biografie
Der greise Schriftsteller war ein schwieriger Brocken, hart zu knacken. Man munkelte, er habe in seinem langen Leben so manches Frauenleben zerstört, aber Genaueres wusste man nicht, denn er hütete sein Privatleben wie einen Schatz. Als der Verlag seinen neuen Shooting Star, den diesjährigen »Open Mike« – Preisträger auf ihn ansetzte, um seine Biografie zu schreiben – ein Unterfangen, das schon ein paar Mal gescheitert war – zählte der erfahrene Cheflektor auf den Ehrgeiz des jungen und auf die ungebrochene Eitelkeit des alten Schriftstellers.
Biografien waren in, wie die Verkaufszahlen bei der Buchmesse gezeigt hatten. Voyeurismus kannte keine Grenzen, was auch die entsprechenden Einschaltquoten bei den privaten Sendern bezeugten.
Der junge Autor las alles, was er über den großen Kollegen in die Finger kriegen konnte, recherchierte und googelte, was das Zeug hielt. Trotzdem wurde das erste Interview eine Katastrophe. Nicht, dass er sich durch die pompöse Villa am Starnberger See hatte einschüchtern lassen. Zumindest ließ er es sich nicht anmerken. Der große Meister war freundlich und zuvorkommend, kredenzte einen guten, alten Cognac und bot seinem Gegenüber dicke kubanische Zigarren an.
»Woher kommen Sie, junger Mann ?«
»Ach, wie interessant. Das »Open Mike« haben Sie gewonnen?«
»Was schreiben Sie sonst noch so?«
Er stellte er dem jungen Autor so viele Fragen, dass der, geschmeichelt durch das Interesse des berühmten Mannes und zungengelöst durch reichlich Cognac, bereitwillig darauf einging und ihm sein Leben erzählte. Erst nach zwei Stunden – am Ende der für das Interview verabredeten Zeit – ging ihm auf, wie listig ihn der Alte auf eine falsche Fährte gelockt hatte, der er in seiner Eitelkeit gefolgt war. Keine einzige seiner sorgfältig im Moleskine – Notizbuch notierten Fragen hatte er gestellt.
Beim zweiten Interview würde er klüger vorgehen, schwor er sich. Höflich, aber bestimmt lehnte er den Cognac ab und bat um schwarzen Tee. »Nein danke«, er wolle auch keine Zigarre, so früh am Morgen. Ob er eine Zigarette rauchen dürfe. Der alte Mann nickte und fuhr sich mit der fleischigen Hand über seinen kahlen Schädel.
Der junge Schriftsteller holte seinen Fragenkatalog aus der Jackett-Tasche. Die erste sorgfältig vorbereitete Frage:
»Ihre Familie kommt ursprünglich aus Ostpreußen. Wie schwierig war es eigentlich für Sie, hier in Bayern Fuß zu fassen?«
»Ja, wissen Sie«, der Alte lehnte sich genüsslich zurück, erzählte eine amüsante Anekdote nach der andern. Und ließ sich nicht mehr unterbrechen. Sein junger Zuhörer lachte und lächelte, sagte »nein, wirklich« und »ogottogott«, schrieb und kritzelte, umwabert vom Zigarrenrauch der sündhaft teuren Havanna. Beim Durchsehen der Aufzeichnungen zu Hause stellte der Möchtegernbiograf fest, dass er nur Belanglosigkeiten notiert hatte, die er auch mit größter Mühe nicht zu einer zusammenhängenden Biografie zusammenbasteln konnte.
»Aller guten Dinge sind drei«, knirschte der junge Mann. Er war blass und angespannt, als er an der großen Messingtür läutete. Keinen Cognac, keinen Tee, keine Zigarre, noch nicht einmal eine Zigarette. Nur ein Glas Mineralwasser. »Ja, bitte.«
Und kaum waren die Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht: »Wie geht es Ihnen?«
»Danke gut!« »Und Ihnen?», da feuerte der junge Schriftsteller seine erste Frage ab, wild entschlossen, sich nicht mehr hinhalten oder täuschen zu lassen. Schließlich gierten Millionen Leser nach genau dieser Antwort auf genau diese Frage.
»Welcher der Frauen in Ihrem Leben haben Sie am meisten geliebt?«
Der berühmte Mann schloss einen Moment theatralisch die Augen, schien ernsthaft nachzudenken, grinste dann und sagte »Keine, junger Mann. Ich liebe keine Frauen.«
Der ließ vor Verblüffung den teuren Mont-Blanc-Füller fallen und wurde rot, als der Alte sich erstaunlich behände bückte und ihm das teure Teil mit der Bemerkung zurückgab:
»Wissen Sie was, junger Mann, an Ihrer Fragetechnik müssen Sie noch feilen. Und dann kommen Sie wieder und wir fangen noch einmal von vorne an.«
Wieder grinste er dieses teuflische Grinsen, klapperte noch ein bisschen mit seinem Gebiss – nur um ihn zu ärgern, wie der junge Schriftsteller verzweifelt dachte – und stand auf. Stand einfach auf und verschwand endgültig aus seiner eigenen Biografie.
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