Fahrt übers Marmarameer
Schon in der Straßenbahn zur Galaterbrücke ist sie mir aufgefallen, die hübsche Frau mit dem dichten, schwarzen Haar, den breiten Wangenknochen und den freundlichen Augen.
»Günaydin«, sagt der kleine Sohn neben ihr, lacht uns an. Die Mutter strahlt.
»Das hat er wahrscheinlich im Hotel aufgeschnappt«, sagt sie in akzentfreiem Deutsch und streicht dem Kleinen über die Haare. »Hast du gehört«, wendet sie sich an ihren Mann auf der anderen Seite des Mittelgangs. »Addi spricht türkisch! Muss er im Hotel gehört haben. Vielleicht hat einer der Kellner mit ihm geübt.«
»Sie sprechen kein Türkisch?«, frage ich.
»Nein, wir sind aus Hamburg.«
Ich muss wohl ungläubig geguckt haben.
»Na ja, ich bin in Hamburg geboren. Die Kinder auch. Aber ursprünglich kommen wir aus Albanien. Wir sind zum ersten Mal in der Türkei.«
»Wir auch«, sage ich. »Und wir wollen mit dem Schiff auf die asiatische Seite.«
»Da können wir ja zusammen fahren«, sagt die Frau. »Wissen Sie, wo die Schiffe ablegen?«
Direkt unterhalb Galaterbrücke in Eminönü liegt die Fähre nach Kadiköy abfahrbereit am Steg. Auch hier braucht man nur die Istanbul-Card auf das Lesegerät zu legen. Automatisch werden zwölf Türkische Lira abgebucht. Es ist ganz einfach. Wir fragen uns, warum in Deutschland jede Stadt ihr eigenes Bezahlsystem hat. Passagiere werden in Deutschland auch als Muttersprachler in den Wahnsinn getrieben, ehe sie eine gültige Fahrkarte in den Händen halten.
Im Sonnenschein laufen wir über die Gangway zur Fähre. Unter uns glucksen die Wasser des goldenen Horns. Still und blau und mit gerippelten Sonnensprenkeln. Wir schlendern durch den überdachten Passagierraum ganz nach vorn zum Bug, um beim Ablegen festzustellen, dass vorne eigentlich hinten ist, der Bug das Achterdeck. Die Fähre dreht, wir sitzen im Windschatten, schauen auf die immer kleiner werdende Kulisse der Stadt. Wie im Ruderboot. Guckt mal, dahinten war eine Kneipe, lautet doch der die Mannschaft immer wieder frustrierende Kommentar des Steuermanns. Wir fahren unter der Galaterbrücke durch, auf der rechten Seite liegt Karaköy und das Szeneviertel Beyoglu mit dem Galaterturm als Wahrzeichen. Links von uns ragen die Silhouetten der Hagia Sophia, der blauen Moschee, der Suleymaniye-Moschee in den azurblauen Himmel, werden kleiner, verschwimmen. Wir halten das Gesicht in die Sonne, freuen uns über die salzhaltige Luft, genießen die wärmenden Sonnenstrahlen. Nach dem langen, kalten deutschen Winter hat endlich der Frühling Einkehr gehalten.
Heißer Apfeltee wird angeboten in kleinen Gläsern und Simit-Ringe, an denen man während der Fahrt knabbern kann. Hunger muss man in Istanbul nicht leiden, das haben wir bereits herausgefunden. Möwen begleiten unsere Fahrt, üben kreischend ihre Sturzflüge, beäugen gierig die Sesamkringel, hoffen auf Beute.
Schleierwolken am Himmel, je weiter wir ins offene Wasser des Marmarameers kommen. Erst Dunst, dann eine Nebelbank. Ruhig liegt die Fähre, keine Katzenköpfe auf dem Wasser, nur kleine verspielte Wellenkringel und eine Schaumfahne, die die Fähre hinter sich aufwirbelt. Ein Lotsenboot kommt tutend in Sicht, taucht schemenhaft auf, verschwindet wieder im Nebel, aus dem sich nach und nach die verschwommenen Umrisse eines Gespensterschiffes lösen. Der Lotse wird das Cointainerschiff sicher durch den Nebel navigieren, um Zusammenstöße zu vermeiden. Auch wenn der Bosporus eine Einbahnstraße ist, auf der die Schiffe entweder aufwärts zum Schwarzen Meer oder abwärts zum Marmarameer fahren, kreuzen viele Fähren und Ausflugsdampfer die Hauptschiffslinien, verbinden das europäische mit dem asiatischen Ufer. Vor dem vor eineinhalb Jahren eröffneten Autotunnel haben viele Istanbuler Angst. Wohl zu Recht, denn das Gebiet ist stark erdbebengefährdet. Auch uns ist die Fähre lieber, ein Genuss bei diesem sommerlichen Wetter.
Wir nähern uns dem asiatischen Ufer. Die Sicht wird immer klarer. Wir sehen das Halbrund des schützenden Hafens, am Ufer die Anlegestelle und ein imposantes wilhelminisches Gebäude, den Kopfbahnhof Haydarpasa, von dem aus die Züge nach Anatolien und später nach Bagdad fuhren. Heute steht nur noch eine ausrangierte Lokomotive vor dem Prachtbau. Unrentabel, heißt es. Die ewigen Kriege im Nahen Osten haben ihr übriges getan, große Teile der Strecke Istanbul – Bagdad lahmzulegen. Übrigens, eine der ersten Passagiere war Agatha Christie, sie stieg in Aleppo ein. Die lange Eisenbahnfahrt inspirierte sie zu ihrem Krimi: »Mord im Orientexpress«.
Inmitten der zahlreichen Sonntagsausflügler laufen wir über den schmalen Metallsteg zum Ufer. Auf der Promenade warten Karren mit Simit, heißen Kastanien, Granatäpfelsaft und süßen Kuchen. Die albanische Familie winkt uns zum Abschied zu.
»Einen schönen Sonntag. Und noch interessante Tage in Istanbul!«
Eine Gruppe Teenager umringt uns mit Schulheften und gezückten Stiften. »You like Turkey? You like the Turkish people?«
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