Schriftstellerkongress im Adlon

Es war ein feuchtfröhlicher Abschiedsabend geworden im Hotel Adlon. Wein und Bier war in Strömen geflossen, die Stimmung der im Moment gut im Trend liegenden Autoren war gestiegen, die Lautstärke auch. Für kurze Zeit war aller Neid und die Eifersüchteleien vergessen, die sonst jede Kommunikation zur Qual machten. Und dass die attraktive chinesische Schriftstellerkollegin Hua Hui Minh es doch noch im letzten Moment geschafft hatte, ein Visum zu bekommen und auszureisen, war das I-Tüpfelchen auf dem gestrigen Abend. Zwar hatte sie nicht an den dreitägigen Symposium und den endlosen Diskussionen teilnehmen können – was hätte sie auch sagen sollen? -,  aber ihre Anwesenheit am letzten Abend ließ zumindest die anwesenden Männer zur Hochform auflaufen .
Hua Hui Minh war entzückend. Ihre Haare lang und schwarz , die Haut weich und schimmernd wie wertvolles Porzellan. Die schrägstehenden Augen glänzten tief und geheimnisvoll, wenn sie einem ihrer Kollegen ein Lächeln schenkte.
Doch am Morgen – als Deutschlands schreibende Elite nach und nach verkatert zum Frühstücksbüffet taumelte – stellte man fest, dass Hua Hui fehlte. Schlicht und ergreifend nicht da war. Zwar hatte man sich gestern Abend belauert, wem die hübsche Chinesin wohl ihre Gunst schenken würde, aber unter der Steigerung des Alkoholkonsums hatte auch die Beobachtungsgabe gelitten. Jeder der Herren war sich sicher, mit ihm hatte die chinesische Göttin nicht das Kissen geteilt, aber diese Niederlage behielt man wohl besser für sich und beäugte argwöhnisch die einlaufende Konkurrenz.

»Ich sah«, sagt Christoph Ransmayr und nimmt sich ein Kaviarbrötchen vom Buffet, »auf der Mauer eine Chinesin…«

»Nicht das schon wieder«, sagt Clemens Meyer und rückt seine Brille zurecht. »Christoph, hör auf, wie ein Prophet zu reden.«

Ransmayr würgt. »Dann leg du doch los, du selbsternannter Dokumentarist des Zeitgeistes. Du warst es doch, der gestern Abend die Kleine heftig angemacht hat.  Warst ganz schön sauer, als sie dich hat abblitzen lassen. Ich sah…«

Jan Wagner, der in einem Gedichtband blättert, mischt sich ein.
»Christoph hat Recht. Es war wie bei der Verleihung des deutschen Buchpreises im vorletzten Jahr, wo du türenknallend den Saal verlassen hast, als du ihn nicht gekriegt hast. Wie eine beleidigte Leberwurst! Übrigens, wer war eigentlich der Glückliche, der das Kissen mit Hua Hui teilen durfte?«

»Ich weiß gar nicht, was ihr alle mit dieser , dieser  – wie heißt sie noch? – habt.« Katja Petrowskaja zupft an ihrem kurzen Rock, schlägt die langen Beine übereinander und bringt sie in eine perfekte Schräglage. »Sie ist ja ganz hübsch, diese Miau Miau, aber die Schlitzaugen, ganz schön gewöhnungsbedürftig.« Glockenhelles Lachen. Sasa Stanisic blickt sie hingerissen an.

»Fräulein Minh ist entführt worden. Bestimmt ist sie Regimekritikerin«, sagt er zögernd.

»O je, o je, lässt sich Ralf Rothmund vernehmen, der am Fenster steht und eine Zigarette durchzieht. «So eine attraktive Frau, was soll die denn mit Politik im Sinn haben? Hat die doch gar nicht nötig! Viel zu hübsch.«

Jenny Erpenbecks Augen sprühen Funken. «Sie mit Ihren pornographischen Texten! Welchen Altmännerphantasien entspringen eigentlich Ihre Sexszenen?« Jennys sanfte Kleinmädchenstimme ist vor Zorn eine Oktave tiefer gerutscht.

»Nun mal sachte, Jenny«, sagt Sibylle Berg. »Sind doch meistens pubertierende Jungen, die er beschreibt. Haut mich auch nicht um. Ab und zu erinnert sich »Mann« eben, wie es früher war. Da war doch noch was!  Außerdem hat er sich von der Longlist streichen lassen. Well done!« Die Frauen kichern.

»Meine Damen und Herren, so darf man nicht miteinander umgehen, denn unsere ethische Verpflichtung als Männer und Frauen des Wortes sollte uns helfen, die richtige Sprache zu finden, um dem tragischen Geschehen, ehm, dem unerklärlichen Verschwinden einer allseits geschätzten Kollegin, noch dazu aus dem Ausland, aus dem fernen Asien, sprich China, dessen jahrtausendealte Tradition der schriftlichen Überlieferung…«

»Nun machen Sie mal einen Punkt«, sagt Clemens Meier.

»Was?«, fragt Martin Mosebach.

»Sie sollen mal einen Punkt machen. Kurze Sätze sind angesagt, kein philosophisches Geseiere. Man kann Ihnen ja kaum zuhören, geschweige denn ihre verquasten Texte lesen.«

»Eigentlich stand mir der Leipziger Buchpreis 2014 zu«, sagt Martin Mosebach würdevoll. »Dennis Scheck hat im Fernsehen gesagt, ich hätte mit »Unter der Blutbuche« das beste Buch der Saison geschrieben. Was soll das überhaupt mit diesen ausländischen Autoren, deren gesprochenes Deutsch so holprig daherkommt wie ein Ackergaul. Da müsste doch der Lektor den Preis bekommen, nicht wahr Frau Petrowskaja? Oder ist es der Ehemann, der so schön formulieren kann? Und was ist mit Ihnen Herr Stanisic?«

»Bravo! Er kann`s ja, wenn er zornig wird. Ich meine, der Herr Mosebach kann sich klar ausdrücken.« Friedrich Ani hat seine lange Gestalt an einen Pfeiler gelehnt, das erste Bier in der Hand. »Aber wollten wir nicht über das Verschwinden von Fräulein Chinesin reden? Niedliche Kleine, muss ich sagen!«

»Macho«, zischt die Berg.

Ani grinst und wischte den Schaum vom Mund. Er prostet der Berg zu. «Wir können ja mal den Verlauf durchspielen. Wer hat das Mädel gestern Abend abgeschleppt?«

»Hört! Hört! Unser Experte für missing persons«, sagt Jan Wagner.

»Eben. Wer hat das Mädel gestern in sein Bettchen gelegt?« Friedrich Ani drückt sich vom Pfeiler ab.

»Du etwa?«, fragt Ralf Rothmann.

Ani ist der einzige Mann hier, der wirklich gut aussieht, denkt Jenny Erpenbeck. Wenn jemand überhaupt eine Chance hatte, dann unser  lonely wolf…

»Und wenn? Ein Gentleman genießt und schweigt, wie man so sagt.« Ani nimmt einen kräftigen Schluck und unterdrückt ein Rülpsen. »Wo ist unser berühmter Profiler Axel Petermann. Ist der auch früher weg? Mit Miauchen?«

»Was hat die Hua Hui Minh überhaupt geschrieben? Weiß das jemand?« Sibylle Berg ordnet ihre Hochschlagfriseur, ihr Gesichtsausdruck spitz und energisch, der große Mund angriffslustig vorgewölbt. »Vielleicht ist die Gute gar keine Schriftstellerin. Sie ist Koreanerin, hat ihre Reisegruppe verloren und sich gestern Abend zu uns gesellt, weil wir ja ach so sympathische Menschen sind. Außerdem war das Buffet exzellent!«

»Ja genau, vielleicht hat sie nun ihre eigenen Leute wiedergefunden.«, Jenny Erperbeck guckt erleichtert und schmiert sorgfältig Honig auf ihr Croissant. »Und wir sitzen hier rum und malen den Teufel an die Wand.«

»Wieso Teufel?«, murrt Friedrich Ani. »Die chinesische Mafia, das wär doch ein guter Plot. « Er holt sein Moleskine Notizbuch aus der Tasche.
.
Jan Wagner tut es ihm gleich. »Lass es, Jan«, sagt Rothmann und klopfte ihm auf die Schulter. »Zweimal holst du den Preis auf keinen Fall.«

»War sowieso reines Glück in Leipzig. Lyrik war mal dran und die Prosa-Konkurrenz zudem sauschlecht«, lässt sich Clemens Meyers Stimme aus dem tiefen Sessel vernehmen, in den er sich beleidigt zurückgezogen hat.

Martin Mosebach breitet die Arme aus wie ein Priester vor dem Altar. Er räuspert sich, setzt an zu sprechen, doch da verschlägt es ihm, dem Meister der Sprache, endgültig die Sprache.

Die Tür fliegt auf. John von Düffel kommt hereingestürzt. Wie immer mit nassen Haaren vom Schwimmtraining

»Da liegt eine«, schreit er. »Unten am Poolboden!«

»Eine Chinesin?«, fragt Clemens Meyer interessiert und fummelt wieder an seiner Brille.

»Wie soll ich das wissen?«, John von Düffel schaut hilflos.

»Nicht getaucht und nachgeguckt?«, fragt Ralf Rothmann. »Ich denke, du kannst schwimmen.«

»Ich, ich …«, sagt John von Düffel, beugt sich über den Stuhl und kotzt. Wasser.

»Meine Güte«, sagt Katja Petrowskaja. »Diese Männer heute. Die können nichts mehr ab. Wenn ich da an meine Urgroßmutter Ester denke…. Damals im Krieg …« und mit diesen Worten stöckelt sie auf ihren Highheels hinaus in Richtung Swimmingpool. Sasa Stanisic mit rotem Kopf hinterher.


Tags:

 
 
 

Schreibe einen Kommentar