Vom Schreiben

Cuadernos de escrituraGlück gehabt, da ist noch ein Tisch frei, direkt in der ersten Reihe. Es ist Wochenmarkt in Freising, und an diesem sonnigen Samstagvormittag ist das Gedränge auf dem Marienplatz riesengroß. Ich lasse mich auf dem Korbstuhl nieder, zünde genüsslich eine Zigarette an, lege mein schwarzes Moleskine-Notizbuch mit dem ollen Gummibandverschluss auf den Tisch, krame in meinem Rucksack nach einem Kuli.
Ein idealer Ort für meine Schreibaufgabe: Suchen Sie sich einen öffentlichen Platz. Schildern Sie Ihre Umgebung. Beobachten Sie die Menschen um sich herum.
Ich gebe ja zu, das fällt mir schwer, das genaue Hinschauen. Und dann noch jedes Detail beschreiben. Ok, also: Der Korbstuhl ist blau, mit einem hellblauen Sitzkissen, der runde Tisch weiß, aus Plastik. Er wackelt. Ich schiebe einen Bierdeckel unter den Fuß. Soll ich jetzt die Marienstatue auf dem Brunnen beschreiben? Oder die Pflasterung des Platzes? Wen interessiert das eigentlich? Mich nicht so richtig. Außerdem kommen die glänzenden runden Pflastersteine durch die vielen Marktstände gar nicht gut zur Geltung. Vor mir ein Obststand. Die rot-grünen Äpfel akkurat aufgetürmt wie ein Stillleben. Hurra, mein erster Vergleich! Daneben die Orangen wie, wie… Mir fällt nichts ein. Der Typ dahinter mit seinem gezwirbelten Schnurrbart und den Hosenträgern vor seinem dicken Bauch sieht aus wie, wie… ich hab‘s: wie ein Bayer. Aber das gilt wohl nicht als Vergleich. Der ist wohl Bayer von Geburt und muss Lederhosen tragen, sozusagen seine Berufskleidung.
Der Ober kommt an den Tisch. Eindeutig kein Bayer.  Türke? Spanier? Italiener?
«Buongiorno, signora. Mi dica?». Aha, also ein Italiener. Eigentlich reicht mir schon Bayrisch. Muss ich jetzt auch noch Italienisch reden? Aus purem Trotz würde ich gern sagen «a Bia», aber das mag ich am frühen Morgen noch nicht. Also: latte macchiato, per favor!
«Grazie», sagt der Typ, verbeugt sich und verschwindet mit einer eleganten Drehung in Richtung Lokal. Wieso «grazie»?, müsste er nicht «prego» sagen und ich «grazie»? Hör auf mit den linguistischen Spitzfindigkeiten, rufe ich mich zur Ordnung, du sollst die Menschen um dich herum beschreiben. Der Ober hat schwarzes gegeltes Haar. Eigentlich ist jetzt wieder ein Vergleich fällig. Schwarz wie, schwarz wie, ich hab‘s, schwarz wie Ebenholz. Nee, geklaut. Aus Schneewittchen. Also, streichen. Seine dunklen Augen glühen wie, glühen wie … Kohle. Das klingt nach Bremer Stadtmusikanten. Streichen. Ich glaube, ich bin fürs Schreiben völlig unbegabt.
Eine Stimme von rechts:
«Is do noch a Platzl frei?»Ein alter Mann steht an meinem Tisch, hält die rechte Hand hinters Ohr. Mit der linken stützt er sich auf einen Krückstock.
Hinter ihm steht …
Halt, erst den Mann angucken. Will ich doch trainieren. Er ist ziemlich betagt, bestimmt über 80. Die Haut grau und knitterig, zwei tiefe Falten laufen von der knolligen, großporigen Nase bis zum Mund. Fahle, dünne Lippen, die wässrigen Augen verschwinden unter den buschigen Brauen. Auf dem Kopf trägt er einen dieser unsäglichen Filzhüte, zum Glück ohne Gamsbart. Brauner Janka mit Hirschhornknöpfen, schlecht sitzende, verbeulte Cordhosen von undefinierbarer Farbe, klobige Schnürschuhe.
«Doa setz di hi, Ieva», sagt er ungeduldig, ohne meine Antwort abzuwarten.
Die Frau schaut mich schüchtern an, ich nicke. Sie hilft ihm, sich hinzusetzen, lehnt seinen Stock an den Korbsessel. Ein ungleiches Paar. Sie ist viel jünger als er, in den Vierzigern, schätze ich, mittelgroß, mollig, ohne dick zu sein, hat ein weiches rundes Gesicht, warme braune Augen, einen rot geschminkten Mund. Sie trägt eine gutgeschnittene, braune Lederjacke, eine helle Seidenbluse, einen langen Rock. Klick, klick, klick, ich beobachte wie der Teufel. Ria, meine strenge Schreiblehrerin, kann nicht meckern, auch wenn ich wieder mal nicht einschätzen kann, aus welchem Material der Rock ist. Wolle, Baumwolle? Synthetik? Ein Gemisch? Der Drang, den Stoff anzufassen, überkommt mich überhaupt nicht.
«Wos wuist dringa, Ieva ?», fragt der Mann.
Der Ober kommt zurückgetänzelt, stellt den Latte ab, sagt «prego». Ich «grazie». Eben. Klappt doch.
Die Frau zeigt auf mein Glas und sagt:  «Wie Dame».
«Nimmst a Haferl Kaffee! Net soa a neimodisches Zeig!»
Ieva kneift ihre Lippen zusammen, hebt das Kinn: »Bitte, will trinken dasselbe wie Frau.» Sie hat eindeutig einen osteuropäischer Akzent.
«Das ist latte macchiato», sage ich und lächle ihr aufmunternd zu. «Schmeckt sehr gut.»
«I wui a Bia», sagt der Mann. «Da woas i wos i hoab.»
Mein Krimi-Gehirn arbeitet. Hat der Tattergreis sich eine junge Osteuropäerin gekauft? Wie der Alte in diesem Kultbuch von der Marina Lewycka. Irgendwas mit einem ukrainischen Traktor.
Die Getränke kommen. Der Ober kassiert flink ab. Wir schweigen. Der Mann trinkt sein Bier. Ieva zieht ihre Lederjacke aus.
«Loas dei Jobbn o.» sagt der Mann
«Sonne warm «, sagt Ieva. Sie hängt die Jacke sorgfältig über die Stuhllehne.
«Mong hoast an Katarrh», beharrt der Alte.
Ein skurriles Paar, denke ich. Ideal für eine Geschichte. Ich muss schnell nach Hause. Mir Notizen machen.


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One Response to “Vom Schreiben”

  1. Gravatar of Gisela Gisela
    8. Dezember 2012 at 17:34

    Die Autorin möchte ihre Aufgabe, die Umgebung zu beschreiben, ungern erfüllen. Sie tut es dann doch; beobachtet ein skurriles Paar; endet m.E. mit einer Einleitung einer Geschichte.Mir gefällt der Schluss absolut nicht.

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