Torfkahn
Auf der Wiese ein verlassener Torfkahn.
Schwarz gestrichen, ohne Segel,
auf Vierkanthölzern aufgebockt,
nutzlos.
Der graue Kranich bewegungslos auf der Klampe,
letzter Überlebender der Arche.
Der Knall eines Auspuffs zerreißt die Stille.
Flatterndes Schlagen der langen Flügel,
den Schnabel geöffnet zum heiseren Schrei.
Flucht über das Wasser.
Grau grüne Schlieren
Entengrütze und abgestorbenes Holz.
Hier und da schwarze Löcher
bodenlos
Eckeneckepens Töchter tanzen auf dem Grund
mit grinsenden Schädeln.
Zeugen einer vergangenen Zeit,
unterlegen im Kampf ums Wasser.
Verwesung, Fäulnis und Tod.
Nirgendwo ein Regenbogen.
Tags:
25. September 2010 at 07:14
Anne wählt für ihr Gedicht – das eher einer Skizze aus der ersten Worpsweder Malergeneration gleicht – eine betont expressive und eine arhythmische Form. Sie experimentiert damit im Rahmen ihrer weit gefächerten stilistischen Möglichkeiten ganz in der Tradition der Lyrik des 20. Jahrhunderts. Spät führt sie den alten Klabauter und Meermann Ekke Neckkepen ein – norddeutschen Küsten- und Inselbewohnern und Segelschiff fahrenden „Spökenkiekern“ als Vorbote von Sturm, Havarie und Verlust bekannt. Der alte Torfkahn also als Metapher für den Untergang – wessen ? Einer Epoche, eines Zeitgeistes, einer gesellschaftlichen Kaste ? Kein Regenbogen kündet von einer Rettung oder Erneuerung, der Schnitt ist endgültig… Vielleicht deutet ja der fortfliegende Kranich auf eine hoffnungsvollere Zukunft.
Von allen sprachlichen Gestaltungsmöglichkeiten ist die expressionistische Ausdrucksweise besonders anspruchsvoll – sie fordert den Verzicht auf jedes überflüssige Beiwerk. Es wäre aber schön, wenn Anne wenigstens von Zeit zu Zeit diesen Weg fortsetzen und ihre Sprache weiter verdichten könnte, abseits jeder belletristischen Beliebigkeit.
8. Oktober 2010 at 18:55
Meine erste Reaktion: Zu viele Wörter. Wozu noch „verlassen“, „ohne Segel“ und „aufgebockt“, wenn der Kahn „nutzlos“ ist? Reicht da nicht z.B.: gestrandet – oder zeitkritisch: Im Heute gestrandet?
Aber so einfach ließ sich der Text nicht abweisen. Die Wörter drängten immer wieder in meine Vorstellung und belebten allmählich das Bild. Menschen tauchten auf, die das Segel bargen, dem Torfkahn noch einen schwarzen Schutzanstrich gaben und ihn fachmännisch aufbockten, damit er nicht vermodert. Hoffnungen also – aber vergeblich. Warum? Der erste Hinweis in der 7. Zeile war mir klar: Heutige Transportmittel haben den Torfkahn abgelöst. Zudem verdrängen sie auch die Tierwelt mit ihrem Lärm (Z. 6, 8 – 10). Und die Abgase aus den Auspuffs lassen die Natur sterben (Z. 11 – 14, 19). Wobei dieser Zusammenhang für mich hier nicht unbedingt stimmt, da das Sterben im Moor von Natur aus augenfälliger ist als das Leben, also natürlich. Der zweite Hinweis in der Zeile 18 hat sich mir aber nicht erschlossen. Was ist das für ein „Kampf ums Wasser“, den die Töchter Eckeneckepens führten und die heute noch Zeugen der Zeit sind, als die Torfkähne noch fuhren? Inwiefern sind sie unterlegen? Ist es, als ein weiterer zeitkritischer Gesichtspunkt, das Vergessen der Sagen und Märchen? Dann sind sie aber keine Zeugen mehr. Die letzte Zeile steigert die Trostlosigkeit der vorletzten Zeile noch einmal und setzt die Hoffnungslosigkeit ins Absolute, was ich als übertrieben empfinde.
An dem lyrischen Text haben mir die intensiven Bilder gefallen, die eine mögliche Stimmung in der Moorlandschaft darstellen. Die zeitkritischen Bezüge empfinde ich jedoch zum Teil eingepflanzt; sie erschließen sich mir nicht immer aus den Naturbildern.