Wahre Liebe
Als ich Annette zum ersten Mal sah, wusste ich: Das ist die Frau meines Lebens. Wir sind füreinander bestimmt. Ich lernte sie am Elternabend kennen, denn sie ist die Klassenlehrerin meiner Tochter. Wenn meine Ex-Frau keine Zeit hat, gehe ich zu den schulischen Veranstaltungen.
Als Annette neulich in meinen Laden kam, um ihre Telefonanlage und ihren Internetzugang neu einzurichten, haben wir einen Termin bei ihr Zuhause gemacht. Wie sie mich angelächelt hat! Mir wurde ganz warm. Die Frau will was von dir, habe ich gedacht. Sie ist nicht mehr so jung, aber sie hat die Figur wie eine Göttin. Ich glaube, ich habe ihr auch gefallen, so wie sie mich angelächelt hat. Ich bin in ihren schwarzen Augen ertrunken. Und wie sie sich neben mich gekniet hat, um die Fritzbox besser in Augenschein zu nehmen, da habe ich mich zusammenreißen müssen, um sie nicht in den Arm zu nehmen. Heute weiß ich, dass sie sogar erwartet hat, dass ich es tun würde.
Ich habe mir Zeit gelassen, die Installation nicht am ersten Tag abgeschlossen und gesagt, ich würde am nächsten Tag wiederkommen. Sie hat sich gefreut, das habe ich genau gesehen. Deshalb habe ich die Arbeit so organisiert, dass Tag für Tag noch etwas zu tun war. Eine ganze Woche lang bin ich in ihr Haus gekommen.
Ich würde mich auch um ihr Auto kümmern, habe ich gesagt, aber da hat sie so komisch geguckt. Ich muss wohl vorsichtiger sein, darf sie nicht verschrecken. Sie hat wohl Angst, offen ihre Zuneigung zu zeigen. Sie ist noch nicht lange geschieden, das habe ich herausgekriegt, wahrscheinlich fürchtet sie sich vor ihrem Ex-Mann. Kann man ja auch verstehen. Muss ein brutaler Typ sein, so ein Sportlehrer. Aber sie liebt mich, das sehe ich in ihrem Blick, der mich streift, wenn sie am Computer neben mir sitzt und ihr Ärmel meinen Arm berührt, ich ihren warmer Atem neben mir spüre.
Schade, ihr Internet funktioniert nun, das Telefon auch, alles ist angeschlossen, aber ich werde sie wiedersehen, bald ist der nächste Elternabend. Leider ist meine Tochter gut in der Schule, sonst könnte ich öfter um ein Gespräch bitten. Aber Annette wohnt gleich um die Ecke. Ich habe sie auch schon beim Edeka gesehen. Normalerweise kaufe ich bei Aldi ein, aber jetzt gehe ich auch nur noch zu Edeka. Ich tue immer so, als sehe ich sie nicht. Bleibe schön im Hintergrund. Ich muss ihr Zeit geben, damit sie sich ihrer Gefühle klar wird, sich traut, zu ihrer Liebe zu stehen. Sie sagte am Telefon, sie habe Angst vor mir, aber das stimmt nicht. Ich liebe sie. Irgendwann wird sie das verstehen, und wir werden vereint sein. Liebe überwindet alle Hindernisse.
Dass ich versucht habe, ein Kleidungsstück von ihr zu bekommen, war eine Dummheit. Sie hat mich überrascht, als ich in ihrem Schlafzimmer war. Ich bin aus dem Fenster gesprungen und habe mir den Knöchel verknackst. Musste sie denn sofort die Polizei rufen? Sie wollte wahrscheinlich vor ihrem Sohn nicht zugegeben, dass sie auf meinen Besuch gewartet hat. Hatte wohl Angst, er erzählt das seinem Vater.
Kontaktverbot habe ich jetzt. Und eine Strafandrohung. Ich solle mich an eine Selbsthilfegruppe wenden, sagte der Richter. Hier in Berlin gebe es die Gruppe »Stop stalking«. Als ob ich ein Stalker wäre. Die Herren Richter haben keine Ahnung von wahrer Liebe. Klar, die wälzen ja nur ihre trockenen Gesetzbücher. Die haben keine Gefühle.
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