Nachlese

 

Die »Freundin« gibt es bei dem kleinen Kiosk am Rand der Promenade. Ich greife sofort zu und bin freudig überrascht, dass es meine Lieblingszeitschrift auch in Spanien zu kaufen gibt.
»Viele Deutsche hier«, sagt der alte Besitzer und lächelt mich unter seiner Fischermütze verschmitzt an. »Viele einsame Frauen.«
Ich kriege sofort einen roten Kopf. Stammele in Spanisch: » No soy soltera. Mi marido va venir la proxima semana. El tiene negocios en Alemana.«
Er nickt. Ob er mir glaubt, dass ich verheiratet bin und mein Mann nachkommt?
»La senora habla muy bien espanol, muy bien«, sagt er.
Ich kaufe mir noch eine Schachtel Zigaretten, gehe zurück zum Apartmenthotel und setze mich unten im Restaurant auf die Terrasse, bestelle einen café con leche, zünde mir genüsslich eine Zigarette an – ich kann nur noch eine Woche in Ruhe rauchen, dann kommt Meinard und der hasst Zigarettenqualm. Ach was, hasst ihn nicht nur, er dreht dann völlig durch.
Die Terrasse ist um diese Uhrzeit nur halb besetzt. Die meisten Touristen scheinen in ihren Apartments zu frühstücken. Rentner sparen. Billig ist geil. Ein paar Tische weiter unterhalten sich zwei Frauen im mittleren Alter auf Deutsch. Vor ihnen eine Flasche Sekt. Er hat sicher Recht, der gute Juan in seinem Kiosk, deutsche Frauen sind hier überrepräsentiert, besonders nach der Saison, wenn schon viele Restaurants geschlossen haben, die schwarzen Verkäufer ihre Decken eingerollt, die dröhnenden Lautsprecher ausgeschaltet sind. Auch die hässlichen grünen Liegen unter den roten und gelben Sonnenschirmen sind vom Strand geräumt, geben den Blick wieder frei auf die sanft anrollenden Wogen eines grau-blauen Meeres, dessen Temperatur so weit gesunken ist, dass nur ganz Mutige – tatsächlich wieder Frauen – sich am frühen Morgen aus ihren weißen Bademänteln schälen und ins Wasser schreiten, manchmal begleitet von ihren Ehemännern, die zitternd im Sand stehen und das Badehandtuch bereit halten. Vielleicht auch in der Zwischenzeit mit dem  blonden Retriever am Strand entlang gehen, interessiert zusehen, wie er sein Geschäft verrichtet, dann treu und brav – es sind deutsche Rentner! – den Plastikhandschuh überstreifen und die Hinterlassenschaft sorgfältig mit einem Schüppchen in den Beutel füllen, den sie  an Bellos Halsband geknüpft haben. In der Tat, herrenlosen Hundekot sieht man auf der Promenade um diese Jahreszeit nur selten.
Ich bin vertieft in die Berichterstattung über das englische Königshaus – William und Kate und die drei Königskinder, wie süß! – als ich deutlich höre, wie eine der Frauen sagt:
»Ist doch klar. Er hat mich hier abgesetzt. Einfach abgesetzt. Er hat mir hier dieses todlangweilige Apartment gekauft, um sich zu Hause in Ruhe mit seiner Geliebten zu amüsieren. Ich bin doch nicht blöd.«
»Aber Elke, Schatz,« versucht die andere zu unterbrechen,« was erzählst du denn da? Dein Harald doch nicht. Nie im Leben. Der ist immer noch verliebt in dich.«
»Papperlapapp!«, sagt die mit Elke angeredete Frau. »Guck mich doch an. Ich werde alt und dick, meine Haut wird schlapp. Er hat sich was Knackigeres gesucht und versucht, mich ruhigzustellen.«
Am liebsten würde ich ein Loch durch die Zeitung bohren, um zu sehen, wie Elke nun wirklich aussieht. Der Selbsteinschätzung von Frauen traue ich nicht. Ist sie wirklich schon etwas welk?
»Meinst du wirklich, dein Harald hätte Chancen bei jungen Frauen? So taufrisch ist er auch nicht mehr. 60 doch bestimmt. Und nicht gerade eine Schönheit, oder? Bei dem Bauch! Und der Glatze!«
Mittlerweile habe ich es nicht mehr ausgehalten und doch gebohrt. Mit dem Löffel. Ein riesiges Loch. Elke sieht gut aus, richtig gut. Sicher, taufrisch ist sie nicht mehr.  Mitte 50, aber wer ist hier schon jung? Ein paar Kilos mag sie zu viel haben, aber Männer mögen das, das weiß ich aus Erfahrung. Das Dekolleté zeigt was her, ihr Gesicht ist fast faltenfrei – dank Botox? – und ihre dichten blonden Haare können sich sehen lassen. Dagegen ähnelt ihre Freundin eher eine Vogelscheuche: lang und dünn und faltig. Ein sehr ungleiches Paar.
Zu meinem Erstaunen widerspricht Elke vehement. »Aber potent ist er. Ein richtiger Stier. Zwei bis dreimal die Woche.«
»Viagra?«, fragt die Freundin.
Elke geht nicht darauf ein. Außerdem sei Harald erfolgreich. Ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Und Bürgermeister sei er geworden, einstimmig gewählt. Da stünden junge Frauen drauf: Geld und Macht.
»Bürgermeister in einer Kleinstadt«, höhnt die Freundin. »Ich würde ihn nicht mit der Zange anfassen.«
»Er dich auch …«, doch ehe Elke ihren Satz beenden kann, geht ein ungeheures Gekläffe und Geknurre los, begleitet von der schrillen Stimme einer Frau. »Pfui!
Putzilein, hierher! Komm zu Mama! Hierher!«
Wieder Gebell. »Um Gottes willen, das ist Brutus. Ich hab ihn am Verkehrsschild angebunden.« Beide Frauen beugen sich über das Gelände der Terrasse. Auf dem Bürgersteig quietscht ein schwarzgefleckter Chihuahua wie am Spieß.
»Aus, Brutus! Aus, sage ich!« Der Rottweiler schaut auf und lässt widerwillig sein Spielzeug los, das er am Hals gepackt und hin und her geschüttelt hat, so dass dem armen, kleinen Schmusehund fast die Augen aus dem Kopf springen.
»Ich werde Sie anzeigen«, schreit eine hysterische Frauenstimme. »Sie dürfen Ihren Hund hier nicht anbinden. Der ist gemeingefährlich.«
»Quatsch«, sagt Elke und beugt ihren ausladenden Busen übers Geländer. »Mein Brutus ist harmlos. Ihr kleiner Köter muss ihn provoziert haben.«
»Mein Köter, sagen Sie? Na warten Sie`s ab! Ich werde zur nächsten Polizeistation gehen. Was Sie hier treiben, ist strafbar! Und noch dazu Tierquälerei!«
Und sie nimmt ihr Putzilein, das nun wieder Mut gefasst hat und schrill bellt, auf den Arm und stolziert von dannen.
»Dumme Kuh«, murmelt Elke, steht aber auf, geht zu Brutus, tätschelt seinen Kopf, bindet ihn los und dreht seine Leine ein paar Meter weiter um die Fußgängerampel am Zebrastreifen.
»Ob das reicht?«, wagt die dünne Freundin zu fragen. »Ich weiß, dein Brutus ist harmlos. Aber er sieht gefährlich aus.«
Elke zuckt die Schultern und wendet sich wieder spannenderen Themen zu. »Und dein Lothar? Kann der noch?«
»Darüber möchte ich nicht sprechen«, sagt die Freundin schnell.« Das geht nur Lothar und mich was an!«
»Wie du willst«, sagt Elke, abgelenkt von einem Polizeiwagen, der sich langsam nähert. Zwei Polizisten steigen aus, nähern sich dem Tisch der Frauen, nehmen die Mützen ab, grüßen freundlich und sagen etwas auf Spanisch. Elke tut so, als verstünde sie kein Wort. Die Polizisten versuchen es auf Englisch.
»Du sollst den Hund vom Bürgersteig nehmen«, übersetzt die Freundin.
»Die können mich mal!«, sagt Elke. »Ich muss deren Gestammel nicht verstehen.«
Die Polizisten bleiben eisern. Zeigen auf den Hund. Ihre Gestik ist eindeutig: Hundeleine abwickeln, Hund entfernen. Der eine Polizist nähert sich dem Rottweiler. Der Hund knurrt, zieht die Lefzen zurück, zeigt sein Gebiss. Der Polizist weicht zurück, zückt sein Smartphone, spricht ins Telefon.
»Die holen Verstärkung«, raunt die Freundin. »Die erschießen den Hund!«
»Spanier!«, sagt Elke. »Die können einen harmlosen Hund nicht von einem gefährlichen unterscheiden.«
Dann steht sie lässig auf, schiebt ihre Sonnenbrille aufs  Blondhaar, winkt hoheitsvoll den Polizisten zu, bindet den Hund los, geht mit ihm über den Zebrastreifen und verschwindet im Gewirr der kleinen, weißen Häuser. Die Freundin bleibt zurück, bestellt noch ein Glas Sekt.
Ob die junge Geliebte der einzige Grund ist, die Frau hier abzusetzen, frage ich mich. Und was treibt mein Meinard eigentlich so zu Hause? Warum ist er nicht gleich mitgekommen? Mit dem Internet kann man  von überall arbeiten, sagt er doch immer.


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