Der Schwimmer

Er kam in Schlappen zum See Der alternde Körper braungebrannt, nur die hellen Fußsohlen hoben sich vom feuchten Sand ab, wenn er die Zehen aufsetzte. Nein, elegant war sein Gang nicht. Nichts Federndes, Hüpfendes, eher ein müdes, unwilliges Schlendern zum Rand des Badesees.

Er erreichte den schaumigen Saum des Wassers, prüfte mit den Zehen die Wassertemperatur , zog den Fuß zurück. Umständlich klaubte eine hellblaue Bademütze er aus der Umhängetasche, die genau zum Hellblau seiner bis an die Knie reichenden Badehose passte. Er zerrte die Gummimütze über seinen kahlen Schädel, fummelte eine Schwimmbrille aus der Hosentasche, deren Ränder weiß waren wie die Streifen auf seiner Badehose, schob die Brille über die Mütze und reckte seine braunen muskulösen Arme angewinkelt über den Kopf. Seine Schultern dehnten sich, die Muskeln auf seinem Rücken tanzten auf und nieder. Nein, er war durchaus nicht unattraktiv, der alte Mann. Sein Körper bewegte sich ein paar Schritte weiter ins Wasser, bis das kühle Nass den Nabel seines leicht hervorstehenden Bauches berührte. Er zitterte ein wenig, schaufelte dann mit der rechten Hand ein wenig Wasser über den rechten Arm, wiederholte die Prozedur mit der linken Hand, hob beide Arme hoch, winkelte sie an und sprang unvermittelt in die Höhe, um dann – mit dem Kopf zuerst – unterzutauchen. Er kam wieder hoch und machte ein paar perfekte Delfin- Schläge Richtung Strand, richtete seinen Körper wieder auf und begann, in Richtung Ufer zu waten.

War das schon alles, dachte ich erstaunt. Die Augen fast aller Sonnenanbeter am Ufer waren auf den Schwimmer gerichtet. Kurz bevor der Mann seine Füße wieder auf den trockenen Sand setzte, machte er eine Kehrtwendung und wiederholt die Bewegungsabfolge von vorhin. Arme hoch, Arme anwinkeln, Arme ins Wasser tauchen und wieder sprang er hoch und ließ sich wie in einem Hechtsprung mit dem Kopf voran ins Wasser gleiten, taauchte unter, kam wieder hoch und warf beide Arme nach vorne, während seine Beine und Füße mit einen perfekten Delphinschlag ins Wasser tauchten und er nach ein paar Schlägen eine beachtliche Geschwindigkeit erreichte, mit der er auf das zwei Kilometer entfernte Ufer zuschwamm.

Donnerwetter, dachte ich. Was für eine Performance war das denn? Ein alternder Olympia-Schwimmer, der noch einmal die Augen aller Zuschauer auf sich ruhen lassen wolltel? Oder war der alte Mann so in sein Tun versunken, dass er die anerkennenden Blicke der Strandleute nicht bemerkte? Vielleicht wollte er auch nur seine Kraft genießen, die Geschwindigkeit spüren, mit der er einst durch das Wasser gepflügt war. Oder was es doch nur die Show eines sich noch einmal aufbäumenden Körpers, dem man soviel Anmut nicht zugetraut hätte? Ich verlor den Schwimmer aus den Augen, bevor er das andere Ufer erreichte. Wer war das? Der Wassergott Neptun, der angesichts eines im Sturm sinkenden Schiffes sein Zepter schwingt und lacht. Oder der auf dem Wasser wandelnde Jesus, der seinen vor Entsetzen schreienden Jüngern zuruft: „Fürchtet euch nicht?“
Der Schwimmer ist nicht zurück an unseren Strand zurückgekehrt. Schade, ich hätte ihn gern angesprochen.  Aber wahrscheinlich hätte ich mich dann doch nicht getraut. Die geballte Kraft seines Körpers, die Grazie seiner Bewegungen strahlten eine Konzentration und fast mythische Spiritualität aus, die Respekt und stille Anerkennung verlangten.


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