Beim Bestatter

Herminchen ist 94, wohnt im Altenheim, ist etwas wacklig auf den Beinen, aber noch recht fit im Kopf. Meistens jedenfalls. Ihr ist sonnenklar, dass sie in absehbarer Zeit wohl mal von dieser Erde abtreten muss, auch wenn sie dazu noch keine rechte Lust verspürt. Das Essen schmeckt gut, die Schwestern im Heim sind nett, und zwei, drei Freundinnen zum Klönen hat sie auch.
Trotzdem, jedes Leben ist endlich, und da sie sich vor Jahren mit ihrer Tochter verzankt hat, den Grund weiß sie nicht mehr richtig, will sie nicht, dass sich Elisabeth um ihre Beerdigung kümmert und möglichst noch dafür zahlen muss. Dafür ist sie zu stolz.
Sie fragt das nette Fräulein Swantje, die ihr soziales Jahr im Heim ableistet, ob sie sie zum Beerdigungsinstitut fahren kann. Ausgetüftelt, wer die billigsten Angebote macht, hat sie selbst. So reichlich ist ihre Rente nun auch nicht.
Kein Sarg, Gott bewahre. Eine Krokodilstränen weinende Tochter will sie nicht am Grab stehen haben. Und wer sollte sie sonst besuchen? Höchstens unterirdisch, kommt ihr in den Sinn. Sie gluckst vor sich hin.
Herminchen hat sich schick gemacht: lila Hut, rosa Ballerinas, ein auf Nerz gemachter Webpelz, Goldkettchen, ein Ring an jedem Finger. Sie schwebt an Swantjes Arm auf den winzigen Panda zu, quetscht sich hinein, zugegeben, das Ein- und Aussteigen fällt ihr etwas schwer, und es zieht auch ein bisschen, weil der Kofferraum klein ist und die Heckklappe über dem Rollator nicht schließt. Aber sie kommen pünktlich zum vereinbarten Termin und Herminchen schiebt energisch ihr Gefährt auf die Tür des Bestattungsinstituts zu, die von einem jungen, dunkel gekleideten Mann geöffnet wird.
»Nun gucken Sie mal nicht so traurig, ich bin ja noch nicht tot«, sagt sie und tätschelt seine hingehaltene Hand.
Der Mann schaut verblüfft, neigt höflich den Kopf und bittet seine Besucherinnen, Platz zu nehmen.
»Womit kann ich den Damen behilflich sein?«, fragt er mit salbungsvoller Miene und gesenktem Blick.
»Eine schöne Krawatte haben Sie, junger Mann«, sagt das Herminchen und streckt die Hand aus, um sie anzufassen. Der Bestatter zuckt vor der beringten Hand zurück und lächelt verlegen. Herminchen lässt sich nicht beirren.
»Und wer zieht sie morgens so schön an?«
Die Gesichtshaut des Mannes verfärbt sich rötlich.
»Meine, eh, meine Lebensgefährtin«, stottert er verwirrt.
»Muss Ihnen doch nicht peinlich sein«, beruhigt ihn Herminchen. »Auch ich habe im Alter nicht noch mal geheiratet. Eine Ehe hat mir gereicht. Man ist dann so festgelegt.«
Sie kichert und er wird noch röter.
»Aber dieses Schwarz steht Ihnen wirklich nicht, das macht Sie zu alt. Haben Sie mehr Mut zu Farbe. Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an der jungen Frau hier. Die hat sogar ihre Haare grün gefärbt. Würde ich auch machen, wenn ich jünger wäre.« Sie kichert.
»Aber, gnädige Frau, in meinem, eh, meinem Beruf, da muss man doch vermitteln, dass man …«
»Papperlapapp«, sagt das Herminchen. »Traurig sind die Leute sowieso. Aber wenn sie so trübsinnig blicken, da werden die ja ganz depressiv.«
»Ja, eh, ja, können wir … ?«, fragt der Bestatter.
»Ja, natürlich«, sagt das Herminchen. »So viel Zeit haben Sie ja auch nicht, nicht wahr? Zeit ist Geld! Noch nicht mal der Tod ist umsonst.«
Swantje lehnt sich zurück.
»Also, liebe Frau…«, sagt der Bestatter.
»Schmidt«, sagt Herminchen.
»Was? Wie? Ach so, richtig, liebe Frau Schmidt …«
Er weiß nicht so richtig weiter. »Ihre Betreuerin sagte am Telefon …« Er sieht Swantje hilfesuchend an.
»Quatsch, Betreuerin. Sie ist meine ZIVI!«
»Ihre was?“
»Meine ZIVI. Noch nie was von Zivildienst gehört?«
»Aber der ist doch abgeschafft«, stottert der Mann.
»Kommen wir zum Wesentlichen«, sagt Herminchen energisch und schaut sich im Raum um. »Bisschen dunkel hier«, sagt sie. »Und Staub müsste auch mal wieder gewischt werden.« Sie fährt mit dem Zeigefinger über die Stuhllehne und hebt ihn prüfend vor die Augen.
»Die maritime Ecke da hinten macht sich ja ganz gut. Wohl Seebestattungen, nicht wahr? Aber dahinten die Engelchen – die gefallen mir noch besser.«
»Gnädige Frau …«, sagt der Bestatter, doch Herminchen unterbricht ihn.
»Bei Ihnen sind die Kosten am niedrigsten. Ist doch Unsinn, alles den Bestattern in den Hals zu werfen, wenn man tot ist, oder? Da merkt man doch sowieso nichts mehr. Ich meine, wo man liegt und so.«
Sie blickt den Mann vor ihr triumphierend an: »Verbrennen, Asche, Urne, weg damit!«
»Ja, wenn Sie meinen. Ein Urnengrab vielleicht? Darf ich Ihnen den Katalog …?«
»Unsinn, Katalog. Anonym. Friedwald oder so. Das wär was. Was für Bäume stehen im Friedwald? Tannen?«
»Eh, weiß nicht, eher Buchen und so …«
»Gefällt mir auch besser, ist nicht so dunkel unter einer Buche. Also, wie teuer? Ich zahle gleich. Dann haben wir das hinter uns.«
Der Bestatter schluckt: «1550 Euros. Mit Urnenträger. Das macht der Förster.«
Herminchen klatscht in die Hände. »Der Förster? So ganz in Grün? Mit Gewehr? Aber die Eichhörnchen darf er nicht schießen, die sollen an meinem Baum hochklettern.«
»Soll der Förster ein paar Worte sagen, ehe die Urne bestattet wird?«
»Lieber nicht«, kichert Herminchen. «Hör ich ja eh nicht mehr. Aus die Maus. Aber ein Vogelhäuschen am Stamm hätte ich gerne.«
»800 Euro kostet ein Einzelgrab unter einem Gemeinschaftsbaum«, sagt der Bestatter und schaut zu Swantje. »Soll eine Tafel angebracht werden?«
Swantje zuckt die Schultern.
»Wozu soll das gut sein?«, sagt Herminchen. »Komm, Swantje, wir gehen zur Sparkasse. Der Herr will das Geld sicher in bar!«
Sie dreht sich zum Bestatter um und blickt ihn streng an.
»Aber nicht an der Steuer vorbei, mein Lieber. Das ist ungesetzlich!«
Mit diesen Worten schiebt Herminchen ihren Rollator durch die Tür, die von einer
feixenden Swantje offen gehalten wird.
Der junge Mann sagt plötzlich: »Ein Moment, bitte!«, eilt in den hinteren Teil des Raums und kommt zurück mit einem weißen Engelchen.
»Für Sie, liebe Frau Schmidt. Sie sind so eine feine Dame.«
Hermichen strahlt. »Na, na, nicht flirten!« Sie droht ihm neckisch mit dem Finger. „Schließlich könnten Sie mein Sohn sein.« Sie nimmt ihm das Engelchen aus der Hand. »Sie Charmeur, Sie!« Herminchen legt den Kopf schief und deutet einen Knicks an.
Der junge Mann murmelt leise: »Enkel, ich bin eher Ihr Enkel!«

Ein paar Tage später kommt Swantje ins Heim, um mit Herminchen den letzten Papierkram zu erledigen. Es fehlt noch eine Unterschrift unter die Vollmacht für die Bank.
»Wer sind Sie denn?«, fragt Herminchen. »Sie habe ich ja noch nie gesehen. Ich warte auf meine Betreuerin.«
Swantje ist verwirrt. »Aber Herminchen«, sagt sie und streichelt der alten Dame über den Arm. »Ich bin`s doch, Swantje.«
»Papperlapapp«, sagt Herminchen. »Swantje kenne ich. Sie habe ich noch nie gesehen.«


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