Nach 50 Ehejahren

(frei nach Loriot)

 

Er köpft langsam und konzentriert das Frühstücksei. Sie trinkt einen Schluck Kaffee und schaut ihn fragend an.

 

Er: Was schaust du mich so an?

Sie: Du hast mitten im Satz aufgehört zu sprechen.
Er: Was wollte ich denn sagen?

Sie: Ja, das würde ich auch gern wissen.

Er. Ach ja, wo wollen wir heute hinfahren?

Sie: Du meinst mit dem Rad?

Er: Natürlich, wie denn sonst?

Sie: Ich meine ja nur. Was schlägst du vor?

Er: Zum Wümmeblick!

Sie: Zu welchem Wümmeblick?
Er: Dem Wümmeblick. Kennst du doch!

Sie: Kenne ich? Habe im Moment kein Bild!
Er: Das Lokal Zum Wümmeblick!

Sie: An der Wümme? Oder an der Hamme?

Er: Der Wümmeblick liegt an der Wümme. Wie der Name schon sagt.

Sie: Du weißt, ich verwechsle immer Wümme und Hamme.

Er: Also, jetzt werde mal nicht dement. Die Hamme fließt durch Worpswede. Die Wümme nicht.

Sie: Sorry, ich habe einen Blackout. Wo genau ist noch die Wümme?

Er: Da, wo die Schleuse liegt.

Sie: Welche Schleuse?

Er: Das Lokal „Zur Schleuse!“?

Sie: Da, wo wir immer mit Rena zum Geburtstag …

Er: Genau. Wo wir immer Renas Geburtstag gefeiert haben.

Sie: Ja, die Schleuse sehe ich jetzt vor mir. Was war das Essen immer lecker! Und wo ist der Wümmeblick?

Er: Wir fahren über Werschenrege.

Sie: Hä?

Er: Werschenrege!

Sie: Werschenredge? Wie kommen wir nach Werschenrege?

Er. Wie immer. Über Platjenwerde …
Sie: Ach so ja, wo die Horstens gewohnt haben?

Er: Genau

Sie: Dann sag das doch gleich. Wo die Horstens ihr Haus hatten

Er. Dann zur B6

Sie: Nicht zur B74?

Er: Nein, die B74 führt nach OHZ.
Sie: Immer diese blöden Zahlen. Wie soll ich wissen, wo die B74 hinführt?

Er: Die sind wir schon 1000mal gefahren.

Sie: OK. Wie du meinst.

Er: Wir überqueren die B6 und kommen nach Werschenrege.

Sie: Ist das der Ort mit der kleinen Kirche, wo wir vor ein paar Jahren den Theologen Eugen Drewermann gehört haben?

Er: Wen bitte?

Sie: Siehst du, du kennst die B6, aber Eugen Drewermann vergisst du.

Er: Der hat mich nie interessiert.

Sie: Typisch! Er hat Märchen tiefenpsychologisch analysiert Sehr spannend.

Er: Aha!

Sie: Außerdem wohnt Birgit auch in der Nähe. Das hättest du gleich sagen können, dann hätte ich sofort gewusst, wo Werschenrege ist. Unsere Friseurin übrigens auch.

Er: Wer auch?

Sie: Die wohnt auch in Werschenrege?

Er. Welche Friseurin?

Sie: Jetzt zeigst du aber Anzeichen von Demenz. Deine Friseurin! Die Uta!

Er: Welche Uta?

Sie: Die dir die Haare schneidet!

Er: Lassen wir das! Also über die Hamme …

Sie: Du hast doch gesagt „Wümme …

  1. Herrgott, nein! Die kleine Hammebrücke führt zur B 74

Sie: Ist das die Brücke, wo unsere Tochter vor ein paar Jahren unbedingt schwimmen wollte? In diesem braun-schlammige Moorwasser mit den vielen Seerosen.

Er: Daran erinnere ich mich nicht!

Sie: Natürlich nicht. Waren ja auch Blumen und keine Zahlen …!

Er: Jetzt bleib mal ganz ruhig. Nach einem Kilometer überqueren wir die B74 und fahren an der Kirche Neu Sankt Jürgen vorbei.

Sie: Ach ja, hat dort nicht deine Kollegin Gisela geheiratet? War sehr romantisch! Wirklich! Wenn wir noch einmal heiraten …

Er: Das überlege ich mir aber noch, wenn du dich weiter so begriffsstutzig anstellst?

Sie: Wer ist hier begriffsstutzig? Du vergisst alle wichtigen Ereignisse! Muss ich mir langsam Sorgen machen um deinen Verstand?

Er: Das sagst ausgerechnet du? Du weißt noch nicht einmal, wo der Wümmeblick ist.

Sie: Weil, das Lokal heißt nicht Wümmeblick.

Er: Was?

Sie: Warte mal, ich gucke mal bei Google nach. Du meinst „Hövdeich“! Das Lokal hieß früher „Hövdeich“. Und da sind wir oft übergesetzt. Von der anderen Seite aus. Da war dieser freundliche italienische Bootsmann, der immer mein Rad angenommen und im Boot festgemacht hat. Weißt du noch, wie der hieß? Antonio? Oder Silvio? Nein, ich weiß Rudolfo. Ein hilfsbereiter Mann war das! Und gutaussehend!

Er. Wie du meinst! Vielleicht hättest du den fragen sollen, ob er dich in St. Jürgen zum Altar führen will.

Sie: Jetzt wirst du aber komisch, mein Lieber! Aber warum machst du auch alles so kompliziert, wenn du nur einen Weg erklären sollst! Wenn du gesagt hättest, wir müssten bei Horstens ehemaligem Haus vorbei, dann Richtung Birgit, die Kirche von Drewermann rechts liegen lassen, an der Kirche, in der Gisela geheiratet hat, vorbeistrampeln und die Brücke, unter der unsere Tochter schwimmen wollte, überqueren, um endlich in Hövdeich anzukommen, wo wir vor ein paar Jahren auch unseren ehemaligen Pfarrer getroffen haben, der wohl eine neue Lebensgefährtin hat. Der Arme, so früh verwitwet. Ich gönne ihm sein neues Glück! Auf jeden Fall hätte ich sofort verstanden, wo du hinwillst. Und wir wären schon unterwegs, mein Lieber!

Er: Und mein Gehirn hätte vor lauter Namen den Plan einer Radtour längst aufgeben.

Sie: Tja, mein Lieber, Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen. Noch nicht mal die grauen Zellen passen zueinander. Und nun lass uns losfahren. Mittags soll es anfangen zu regnen.

Er: Wie du meinst, Erna! Wie du meinst!:

 

Ins Publikum:
Ich bringe sie um!! Eines Tages bringe ich sie um!


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