Oma ist weg

image002Die gläserne Tür zum Funbad öffnet sich automatisch. Ohrenbetäubender Lärm schlägt ihnen entgegen. Im Plantschbecken kreischen kleine Kinder, Jungs springen tarzanlike mit Gebrüll vom Drei-Meter-Brett. Die Wasserfontänen lassen die weibliche  Fan-Gruppe am Rand aufquietschen.
Max-Emanuel nimmt Omas Hand. «Komm, Oma, rutschen!»
»Puh, ist das hier heiß«, sagt die Oma. »Und es stinkt nach Pommes.«

Max-Emanuel rennt die Treppen zum oberen Stockwerk hoch. Von dort windet sich eine lange blaue Röhre wie eine Riesenschlange zum Wasser hinunter.

«Nicht so schnell, Maxl», ruft die Oma und schnauft hinterher. Und als die Ampel grün zeigt, dann, hui, rutschen Oma und Max-Emanuel die lange Rutsche hinunter. Max-Emanuel hat seine Badehose in die Pospalte geschoben, dann geht es noch schneller, hat Papa gesagt.

«Nun warte doch auf mich, verflixt nochmal», sagt Oma, als sie weit hinter Max-Emanuel ins Wasser platscht. «Das sieht doch komisch aus, wenn ich als Oma so allein auf der Rutsche rutsche.»

«Du musst deine Badehose auch in die Pospalte tun, dann bist du schneller.»Oma guckt entgeistert. «Du spinnst doch wohl, Max.», sagt sie. «Die Leute lachen mich doch aus.»

Dass die Oma sich aber auch so anstellt!. Na gut, dann ist sie eben langsamer. Selber schuld.

«So, Maxl. Du setzt dich jetzt mal kurz auf die Liege. Ich komme gleich wieder.»

«Ich habe Hunger. Ich mag Pommes. Mit Ketchup.»

«Ja gleich, wir gehen ins Bistro. Da gibt es leckere Würstchen. Und Pizza.»

Max-Emanuel wartet und wartet. Der Magen knurrt nicht nur, der bellt.

«Meine Oma ist weg», sagt Max-Emanuel zu dem dicken Bademeister, der am Beckenrand steht. Eine Träne kullert über seine Backe.

«Na, die wird schon nicht weg sein», sagt der Bademeister. «Hast du schon mal bei den Toiletten nachgeschaut?»

Max-Emanuel rennt zum Toilettentrakt. Aufgeregtes Stimmengewirr. Eine Ansammlung von Frauen vor den Klotüren. Max-Emanuel witscht an den Beinen der Frauen vorbei, drängelt sich nach vorn. Hinter der Tür hämmert jemand mit den Fäusten.

«Hilfe, der Drehknopf ist abgegangen. Ich komme nicht raus. Hilfe.»

«Oma», sagt Max-Emanuel und ist ganz erleichtert. «Oma, hast du dich eingeschlossen?»

Eine Frau fummelt von außen am Türgriff                  . Ohne Erfolg.

«Warum haben sie nicht einfach eine Kette mit einer Öse. Immer dieses neumodische Zeug», schimpft Oma hinter der Tür.

«Der Bademeister kommt gleich», sagt eine Frau.«Wie peinlich», sagt Oma. »Ein Mann. In der Frauentoilette.«

Der Bademeister hat einen Werkzeugkasten. Er kramt einen Schraubenzieher heraus. Dreht am Schloss. Nichts. Er wirft sich mit Wucht gegen die Tür. Die gibt nicht nach.

«Scheiße!», sagt er.

«Scheiße sagt man nicht», sagt ein kleines Mädchen zu seiner Mama.

«Sei ruhig», sagt die Mutter.

«So schaffe ich es nicht», sagt der Bademeister. «Wir müssen die Tür von innen aufmachen.»

Er schaut nach oben, geht in die Nachbartoilette. Zwischen den  Kabinen gibt es unter der Decke einen recht breiten Spalt. Keine Chance. Der Bademeister passt da nicht durch. Er klettert auf den Toilettenrand und schaut von oben hinab auf die ältere Frau, die mit hastig hochgezogenem Badeanzug und nassen Haaren auf dem Klodeckel hockt und einen roten Plastikgriff in den Händen knetet.

«Ich komm da oben durch», sagt Max-Emanuel, der sich neben ihn gedrängelt hat.«Da drin, das ist meine Oma. »

Der Bademeister guckt skeptisch. «Dann kriegen wir euch beide nicht mehr raus«, sagt er. «Wie heißt du denn, Kleiner?»

«Max-Emanuel.»

„O.k., Max-Emanuel. Wir probieren es. Du tust genau, was ich sage.»

Er hebt den Jungen hoch über den Rand der Tür, sodass er in das Nachbarklo hinunterschauen kann.

«Hallo Oma,», sagt er.

Er grinst auf die Oma hinunter, die Nase knapp über der Sperrholzwand, die Hände über dem Rand. Kilroy. Oma hat Flecken im Gesicht.«

Fang mich auf», sagt Max-Emanuel. Oma springt auf, hebt die Arme hoch und Max-Emanuel lässt sich hinuntergleiten.

«Hör zu, Max», sagt der Bademeister.

«Ich heiße Max-Emanuel», sagt Max-Emanuel.

«Hör zu, Eure Hoheit», der Bademeister lacht.

«Siehst du irgendwo einen roten Plastikgriff?»

Schweigend reicht Oma Max-Emanuel den Drehgriff.

«Schau ihn dir genau an, Max-Emanuel. An der Tür gibt es einen Stift, auf den der Griff passt. Vorne dünner, hinten dicker.»

«Seh ich!«

«Es ist wie mit Lego. Die Teile passen aufeinander.»

Weiß ich.»

«Kluges Kerlchen. Steck den Knopf auf den Stift. Nicht mit Gewalt. Schön vorsichtig.»

«Klar», sagt Max-Emanuel. »Sonst bricht er ab.»

«Passt er?»

» Klar«, sagt Max-Emanuel.

«Dreh den Knopf langsam nach links.»

«Wo ist links?»

«Das weiß deine Oma. Hoffentlich.»

Max-Emanuel dreht nach links. Die Tür springt auf.

Oma kommt mit puterrotem Gesicht heraus. Nimmt Maxls Hand. Eilt wortlos in Richtung Café Max-Emanuel hinter sich herzerrend.

»Vielen Dank«, sagt er zum Bademeister und lächelt ihn an. »Meine Oma hatte keine Brille dabei.«


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2 Responses to “Oma ist weg”

  1. Gravatar of Ina Schlicht Ina Schlicht
    5. Oktober 2013 at 23:13

    Amüsant und glaubwürdig! Konnte mir alles gut vorstellen und musste wirklich lachen. Was will man mehr.
    Inhalt, Stil und Form passen gut zueinander.

  2. Gravatar of Agnes Kondering Agnes Kondering
    29. Oktober 2014 at 16:09

    Diese Geschichte gefällt mir ebenfalls sehr gut. Ich kann mir die Situation sehr gut vorstellen und die Oma auch.

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