Bahnsteig 3, Gleis 5

Leerer Bahnsteig, Fokus auf dem Vordergrund„Könnt ihr nicht lesen, oder was? Rauchen ist hier verboten.“
Die drei dunkelhaarigen Jugendlichen  unterbrechen ihr Gespräch und schauen finster auf den adrett gekleideten jungen Mann, der sich vor ihnen aufgebaut hat. Dann zucken sie mit der Schulter, wenden sich ab und reden weiter in einer Sprache, die die wenigsten Passanten im Frankfurter Bahnhof verstehen dürften.
„He, ihr Kanaken, ich rede mit euch, macht die Zigaretten aus“, der junge Mann lässt nicht locker. „Wenn ihr zu blöd seid zum Lesen, dann haut wieder ab in die Türkei, wo ihr hergekommen seid. Hier will euch eh‘ keiner.“
In den Augen des 18jährigen Enver blitzt es gefährlich auf.
„Was los, Mann? Haben wir dir was getan, oder was?“
Er bläst dem Deutschen den Rauch ins Gesicht. Alle drei bilden nun eine Front und kommen bedrohlich näher, die Fäuste geballt. Der Deutsche weicht einen Schritt zurück, unterschätzt aber die Gefahr, die von den drei völlig entwurzelten Jugendlichen ausgeht, die er irrtümlich für Türken gehalten hat, die aber in Wirklichkeit vor den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Kosovo geflohen sind. Vom Krieg traumatisiert und von Abschiebung bedroht, überleben sie mit Gelegenheitsarbeiten, Drogenhandel, Prostitution.
„Hau ab, du Nazi-Schwein, fick deine Mutter!“
Der Deutsche zögert einen Moment, ist verunsichert durch die zahlenmäßige Überlegenheit der Gruppe, gibt aber nicht auf. Zwei Jahre Ausbildung bei der Bundeswehr, regelmäßiges Karate-Training müssen sich schließlich auszahlen. Mit so ein paar halbgaren Ausländern wird er wohl fertig werden
„Wir füttern euch hier durch und ihr habt es nicht nötig, euch an die Gesetze zu halten. Schade, dass es keine Arbeitslager mehr gibt für Abschaum wie euch. Da würde man euch Beine machen. Den ganzen Bahnhof müsstet ihr fegen“
Die anderen Passanten machen einen großen Bogen um die Gruppe. Aufsichtspersonal ist nicht zu sehen, niemand hat die Geistesgegenwart, die Polizei zu rufen.
Da macht der Deutsche einen entscheidenden Fehler. Er tritt einen Schritt vor und schlägt dem jüngsten Bandenmitglied Rexhep die Zigarette aus der Hand. Damit durchbricht er den persönlichen Schutzraum, den jeder Mensch, jedes Tier um sich bildet, um sich sicher zu fühlen. Blitzartig zieht Rexhep sein Messer und sticht, besinnungslos vor Wut, auf den Deutschen ein. Neun Mal trifft er  Brust und Rücken des verhassten Deutschen , bis ihn die Freunde wegreißen und mit ihm in einen Zug springen, der gerade abfährt. Blutüberströmt bleibt der junge Mann auf der Plattform liegen, direkt unter dem Schild „Rauchen verboten.“


Tags:

 
 
 

Schreibe einen Kommentar