Landeanflug
Der Sinkflug durch die Wolken ist lang und ruckelig. Die beiden Flugbegleiter an Bord der Boeing 737 haben die letzten Kaffeebecher weggeräumt, den letzten Müll entsorgt. Die Passagiere hängen angeschnallt in ihren Sitzen und versuchen, durch die trüben Scheiben der Bullaugen das Neuenlander Feld, den schlängelnden Lauf der Weser, ein Stück Landebahn zu erkennen. Schlechte Sicht und Nieselregen hat der Copilot angesagt, also das typische Bremer Wetter, das die Gemüter aller eingefleischten Bremer Bürger aufhellt und ein Lächeln auf ihre Gesichter zaubert.
Nur drei Stunden hat der Flug von Istanbul nach Bremen gedauert, im Sonnenschein war die Maschine am Havalimanı Airport Istanbul kurz nach 15 Uhr gestartet, viele Passagiere waren beim beruhigenden Brummen der Turbinen eingenickt, geweckt vom Bordpersonal, das das Mittagessen servierte: Börek mit Oliven und Paprika, schmackhaft wie die meisten türkischen Gerichte. Danach einen kahve mit viel Zucker. Satt und zufrieden hat man in der Zeitung geblättert, ins ebook geschaut, mit dem iPhone gespielt, beim Landeanflug dann alles in die Tasche des Vordersitzes gestopft, den Gurt festgeschnallt. Die Gespräche sind verstummt – wie immer bei Start und Landung. Die Anspannung ist mit Händen zu greifen. In einer der letzten Reihen weint ein Kind, wahrscheinlich Probleme mit dem Druckausgleich. Mit schwankenden Flügeln setzt die Maschine auf der Landebahn auf, die Turbinen dröhnen, der Pilot aktiviert die Schubumkehr, die Menschen werden in die Rücklehnen gedrückt, das Flugzeug rollt langsam Richtung Flughafengebäude. Ein Routineflug ohne besondere Vorkommnisse, zumindest keine, die die Passagiere bemerkt und beunruhigt hätten.
Die üblichen Durchsagen des Bordpersonals, angeschnallt bleiben, bis das Flugzeug zum Stand kommt, Vorsicht beim Öffnen der Gepäckfächer, niemand hört zu. Die ersten Passagiere sind bereits aufgestanden, fummeln an den Klapptüren der Gepäckfächer über den Köpfen. Ein Ruck, es ist so weit, die Maschine hat ihren Weg übers Rollfeld beendet, die Motoren werden leiser, ersterben ganz. Die Ankunftshalle zum Greifen nah, ein Zubringerbus ist sicher nicht notwendig bei der kurzen Entfernung.
Über zweihundert Menschen stehen im Gang, zerren Jacken und Taschen nach unten, stellen sich in einer Reihe auf, dicht an dicht, Trolleys gefährlich nah an den Kniekehlen des Vordermannes, warten ungeduldig, dass sich die Flugzeugtür vorne öffnet, begierig die enge Röhre zu verlassen, wieder freier atmen zu können. Wir sind sitzen geblieben, auf ein paar Minuten kommt es nun auch nicht mehr an, bloß nicht eingeklemmt in der Menge stehen, dann lieber gemütlich in den Sitzen warten und sich dann erst in den sich nach vorn bewegenden Menschenstrom einreihen, ohne Drängeln und Schubsen und ungewollten Körperkontakt mit wildfremden Menschen. Dann eine Lautsprecheransage auf Türkisch, und wie auf Kommando lassen sich die Passagiere wieder in die Sitze fallen. Was ist nun los? Weitere Informationen auf Englisch oder Deutsch bleiben aus. Keine Panik, kein Schimpfen, die junge Frau vor uns nestelt ihr iPhone hervor, tippt darauf herum. Ich wende mich an meinen linken Sitznachbarn, einen großen, schlanken Türken, wie ich vermutete, der so ganz gegen unsere Erfahrung in Istanbul, den ganzen Flug kein Wort gesagt hat. Mein Deutsch versteht er nicht, vielleicht war das der Grund seines Schweigens, denn wir haben die Istanbuler als sehr freundlich und kommunikativ erlebt, die hilfsbereit und freundlich keinem Gespräch aus dem Weg gehen. Ich frage auf Englisch nach und erhaltet die mit unbewegtem Gesicht vorgetragene Erklärung »operational difficulties«, was auch immer das bedeuten soll. Wahrscheinlich haben die Bremer mal wieder gespart und die Rolltreppe nicht geölt, daher rollt sie nicht, lästert mein Mann. Kein Flugbegleiter zu sehen, auch der Captain hüllt sich in Schweigen. Langsam werden die Menschen unruhig, Stimmen werden lauter, dann laut, die Menschen stehen wieder auf, drängen nach vorne, eine Stimme schreit »Hallo!«, hoch und aggressiv, nervöse Lacher. Hoffentlich dreht jetzt keiner durch, denke ich, man wird uns schon hier rausholen. Wir sitzen hier nicht seit Stunden fest, sondern erst seit 20 Minuten. Plötzlich bewegt sich die Menge nach vorn, frische Luft fließt in den Innenraum. Auch wir ergreifen unsere Taschen und Jacken, lassen uns mitschieben und sind bass erstaunt, dass keine Stahltreppe an die Flugzeugtür gerollt worden ist. Wir stehen am Eingang eines dieser aus Stahl und weißem Plastik gebauten Fluggastbrücken, stählerne Rüssel, die die Kabinentür mit der Ankunftshalle verbinden. Wo war denn hier das Problem? Gewaltiges Flugaufkommen am Bremer Flughafen? Alle boarding bridges besetzt? Eher unwahrscheinlich.
Wie Lämmer laufen auch wir im Strom der Menschen mit in Richtung Gepäckbänder. Die werden hoffentlich inzwischen das Gepäck ausgeladen haben, oder gibt es da auch »operational difficulties«, sage ich zu meinem Mann. Der nächste Stau, direkt vor den Glashäuschen der Passkontrolle. Es geht nicht weiter. Die Beamten hinter den Scheiben tun gar nichts, verlangen auch nicht, die Pässe zu sehen, sitzen dort und scheinen auch zu warten. Sie bitten um Geduld. Die Ausgänge sind versperrt. Es wird laut. Wüstes Schimpfen, Kinder weinen, eine Frau fängt an, hysterisch zu schreien, drückt ihr Baby an sich, ihr Mann legt beruhigend den Arm um sie. Wütende Stimmen, Fäuste, die an die Glasscheiben klopfen, hinter denen unbeweglich Beamte sitzen und um Ruhe bitten, bis einer von ihnen lospoltert, er lasse sich nicht beleidigen, er bestehe auf einem höflichen Ton. Was da draußen passiere, dafür seien deutsche Passbeamte nicht zuständig. Innertürkische Angelegenheiten, die ihn nichts angingen. PKK–Leute da draußen planten, die aus Istanbul kommenden Türken abzufangen. Eine nicht genehmigte Demonstration, die Polizei versuche, die Kurden abzudrängen, um eine Konfrontation zu verhindern, der Flughafen könne zur Zeit nicht verlassen werden. Für Menschen mit Platzangst, die tapfer den Flug in dem fliegenden Aluminiumsarg ausgehalten haben, eine Katastrophe.
Vor einer Reise in die Türkei hat man uns gewarnt, zu gefährlich, man käme unweigerlich zwischen die Fronten, es herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Unsinn, es waren wunderschöne Tage in einer friedlichen Stadt, ohne knüppelnde Polizisten und Wasserwerfer. Der kriegerische Konflikt zwischen Kurden und Türken holt uns erst in Bremen ein.
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