Sommertag auf Cres
Ich sehe einen alten Mann und einen kleinen Jungen in einem roten Schlauchboot auf dem blauen Wasser der Adria dahindümpeln, nahe der Küste, wo das Wasser so klar ist, dass man silbrige Fischschwärme einen Meter unter der Wasseroberfläche dahintreiben sieht.
Noch ist es windig und kühl, und der alte Mann zieht den Reißverschluss am Pullover des Jungen hoch, schiebt eine Schirmmütze auf die dunklen Locken, so dass er geschützt ist vor den sengenden Strahlen einer aus blauem Himmel erbarmungslos leuchtenden Sonne. Noch ist der Strand leer, die Pinienzapfen im weißen Kies sehen von weitem aus wie Hundehaufen.
Doch Hunde sind verboten am Strand, und die einsamen älteren Männer, die schon frühmorgens ihre kleinen und großen Kackmaschinen hinter sich herziehen, haben alle Plastikbeutel und Schüppen in der Hand, wenn sie über die Promenade laufen und an jedem verkrüppelten Strauch stehenbleiben, an dem ihr Liebling das Bein hebt, misstrauisch beäugt von den jungen Frauen, die – todmüde – Kinderwagen mit hellwachen Babys schieben und hoffen, dass die frische Seeluft und das leise vor sich hinruckelnde Gefährt die brüllenden kleinen Monster wieder in den Schlaf lullen werden.
Wir sind früh aufgestanden, um im Dunst des morgendlichen Lichtes die Heimkehr der Fischer zu fotografieren, die ihre magere Ausbeute in vom Wasser ausgebleichten Kisten auf die Kaimauern hieven und wortlos den heißen Kaffee schlürfen, den ihre Frauen in großen Kannen herangeschleppt haben. Frischen Fisch kann man nicht vom Kutter kaufen, der Fang wird von den Kleinlastern der Restaurants abgeholt, die auf ein abendliches Geschäft hoffen.
Bauersfrauen aus dem Umland breiten ihr Obst und Gemüse auf den Steintischen der antiken Markthalle aus, wo wohl schon die Phönizier ihre bunte Ware angepriesen haben. Noch ziehen die Frauen die bestickten Schals fest um ihre Köpfe, knöpfen die Wolljacken zu, um sich gegen die kühl von den Bergen herabfallende Bora zu schützen, bald werden sie sich aus den wärmenden Kleidungsstücken schälen, dankbar die Gesichter der Sonne entgegenstrecken, später unter den Arkaden Schutz suchen vor der Hitze.
Espresso und Croissant im kleinen Bistro am Hafen, wir frösteln noch, aber greifen schon zur Sonnenbrille, um die Augen vor der gleißenden Helligkeit zu schützen. Sonne, südliche Betriebsamkeit, Urlaub, Glück.
Vor unseren entsetzten Augen schiebt ein Greis seine bis auf die Knochen abgemagerte Frau in einem Holzkarren an den Touristen vorbei in die Sonne. Das schlechte Gewissen steigt in die Kehle. Was können wir für das Elend der Leute? Dem Mann einen größeren Schein in die Hand drücken? Aber er bettelt nicht. Würden wir seinen Stolz verletzen? Hilflos wenden wir den Blick ab.
Sonne kriecht über die abgeblätterten Fassaden der Häuser am Hafen, arbeitet sich durch das Geäst der hohen Kiefern, knallt auf Zelte und Wohnmobile und treibt die Touristen auf den Campingplätzen ins kühle Wasser. Sonnenschirme werden aufgeklappt, Liegen an den schmalen Kiesstrand geschleppt, erbittert um Plätze gestritten. Man hat doch schließlich gestern Abend das Handtuch und den Fuß des Sonnenschirms am Strand gelassen. Nun liegt alles am Rand, aggressiv beiseitegeschoben. Sicher wieder die Italiener, die sind so rücksichtlos, schimpft ein österreichischer Rentner vor sich hin. Lassen auch ihre Kippen im Kies liegen. Ekelhaft. Sie scheinen sich nur im Abfall wohl zu fühlen. Seine Frau nickt zustimmend.
Der alte Italiener hebt den Enkel aus dem Schlauchboot. Sie waten an Land, legen sich auf das Badetuch, das versteckt in einer Kuhle auf sie wartet. Liebevoll rubbelt der Alte den Kleinen ab, kämmt sein Haar, reibt ihn ein mit Sonnenöl. Beide legen sich auf den Bauch und der Alte beginnt zu erzählen, hinein in die leuchtenden Augen des Jungen. Er erzählt von Fischern und Seejungfrauen, von krakenarmigen Ungeheuern, von Seeleuten und Schiffsuntergängen, von Wundern und glücklicher Rettung. Und von dem lieben Gott, der alle Kinder beschützt. Nur einmal unterbricht er sich, breitet ein Handtuch über den Kopf des Jungen aus, nimmt dessen Hand und spricht dann weiter in seinem vokalreichen, singenden Italienisch. Ein Schwall an Worten, unablässig tropfend, hüllt den Jungen ein in eine Kaskade von Lauten und Bildern. Der Kopf des Kleinen sinkt auf die Brust des Alten, seine Augen schließen sich, ein Lächeln umspielt seinen Mund. Zärtlich küsst der Großvater die Wange des Jungen, streichelt über sein Haar.
Er kümmere sich um den Kleinen, wenn der Ferien habe, das hat der alte Herr mir vor ein paar Tagen erzählt. Die Mutter lebt in Mailand, der Vater in Split. Morgen wird er kommen, der Vater, zusammen mit der neuen Frau. Der Junge freut sich auf den Vater. Er will ihm zeigen, wie gut er schwimmen und rudern kann. Und ihm die vielen Märchen und Geschichten erzählen, auch der neuen Frau. Natürlich fragt sich der Junge, ob die ihn mögen wird, denn die Mutter hat gesagt, sie sei eine Hexe.
Ich sehe, dass der Alte ahnt, dass er bald nicht mehr gebraucht wird. Überflüssig sein wird. Wer aber wird dem Jungen erzählen von Helden und wilden Tieren, von Untergang und göttlicher Rettung, von Engeln und Göttern und Dämonen? Wer wird den Jungen retten aus heranrollenden, alles verschlingenden Brechern?
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