Archive for Februar 2017

 
 

Beim Bestatter

Herminchen ist 94, wohnt im Altenheim, ist etwas wacklig auf den Beinen, aber noch recht fit im Kopf. Meistens jedenfalls. Ihr ist sonnenklar, dass sie in absehbarer Zeit wohl mal von dieser Erde abtreten muss, auch wenn sie dazu noch keine rechte Lust verspürt. Das Essen schmeckt gut, die Schwestern im Heim sind nett, und zwei, drei Freundinnen zum Klönen hat sie auch.
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Du sollst kein falsch Zeugnis reden

Zugegeben, der Stadtteil ist sozial belastet, wie es im Amtsdeutsch heißt.
Frau Kowalczyk hat in den letzten vierzig Jahren in einem Sechsfamilienhaus gewohnt, in dem mittlerweile die meisten Wohnungen vom Sozialamt bezahlt werden. Einige deutsche Mieter sind schnellstens ausgezogen, als sie sich eine andere Wohnung leisten konnten, aber Frau Kowalczyk gefällt es in dem bunten Stadtteil mit den vielen Einkaufsmöglichkeiten, der guten öffentlichen Anbindung an die Innenstadt, der Nähe zum Fluss. Im Übrigen findet sie sich zu alt, um in einer fremden Umgebung einen Neuanfang zu wagen. Sie ist kommunikativ und freundlich, kommt gut mit den anderen Mietern aus, auch wenn sie sich manchmal wünscht, das Treppenhaus würde gründlicher geputzt und die Haustür nachts zuverlässig abgeschlossen werden.
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Abgerutscht

Es war voll in der Altstadt. Auf dem Marktplatz blinkten die elektrischen Kerzen in der Dämmerung. An den mit Tannenzweigen geschmückten Holzbuden drängten sich die Menschen, aßen Wurst und Schaschlik mit Pommes rot und weiß, schlürften Glühwein an runden Stehtischen. Kleine Kinder starrten sehnsüchtig auf die tutende Eisenbahn und quengelten, bis Mutter oder Vater nachgab und dem Nachwuchs eine Fahrt spendierte. Zeit geschunden für einen zweiten Glühwein. Aus Lautsprechern dudelte »O du fröhliche«.
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