Archive for August 2010

 
 

Torfkahn

Auf der Wiese ein verlassener Torfkahn.
Schwarz gestrichen, ohne Segel,
auf Vierkanthölzern aufgebockt,
nutzlos.
Der graue Kranich bewegungslos auf der Klampe,
letzter Überlebender der Arche.
Der Knall eines Auspuffs zerreißt die Stille.
Flatterndes Schlagen der langen Flügel,
den Schnabel geöffnet zum heiseren Schrei.
Flucht über das Wasser.
Grau grüne Schlieren
Entengrütze und abgestorbenes Holz.
Hier und da schwarze Löcher
bodenlos
Eckeneckepens Töchter tanzen auf dem Grund
mit grinsenden Schädeln.
Zeugen einer vergangenen Zeit,
unterlegen im Kampf ums Wasser.
Verwesung, Fäulnis und Tod.
Nirgendwo ein Regenbogen.

Der Anruf

Altes TelefonMagdalena hatte gerade den Kofferraumdeckel zugeknallt und bewegte sich Einkaufstaschen schleppend Richtung Haustür, als das Telefon anfing zu läuten. Hektisch ließ sie die Tüten auf der Eingangsstufe fallen, suchte in ihrer Handtasche nach dem Haustürschlüssel, fand ihn nicht, ärgerte sich, schrie „Harald, Telefon!“ und wusste doch ganz genau, dass ihr lieber Mann sicher im Garten hingegeben ein Beet umgrub oder Pflanzen wässerte und sich nicht, aber auch gar nicht für das Klingeln des Telefons interessierte.
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Radtour

kette schmieren fahrradIch wuchte das sündhaft teure Rennrad aus dem Keller und stelle es in die Garage. Ich will mein Rad überholen und für die Frühjahrstour startklar machen. Der Rahmen ist grau vor Staub. Ich hole weiche Lappen, einen Eimer mit warmem Wasser, eine Drahtbürste und ein wenig Öl für die Kette.
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Gottesdienst

Karte ReligionFrauke war schon früh aus dem warmen Bett gescheucht worden, denn ihre Mutter Johanna bestand eisern auf dem sonntäglichen Gottesdienstbesuch. Im Gänsemarsch näherte sich die Familie dem großen, grauen Kasten, der seit Kriegsende der Gemeinde als Kirche diente. Der Posaunenchor spielte sich bereits warm, als Johanna die schwerhörige Oma auf einen Platz weiter vorn bugsierte und dann zu einer der hinteren Reihen zurückkehrte, in der Vater Hinrich vier nebeneinander stehende Stühle für seine Familie belegt hatte.
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Lebensabschnitt

Uhr Zeit vergehenWas hupt dieser Idiot so? Bloß weil die Fußgängerampel rot zeigt? War in Gedanken. Kann jedem passieren. Auch dem jungen Schnösel hinter dem Lenkrad. Jetzt zeigt er mir auch noch einen Vogel. Gemach, gemach, junger Mann. Dabei habe ich es gar nicht eilig, nach Hause zu kommen. Eigentlich graust mir davor. Meine Beine sind schwer.
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Im Altenheim

PflegerSie sitzt nahe am Fenster. Der Himmel ist grau und verhangen, das Zimmer dämmrig. Das Deckenlicht ist noch nicht angeschaltet, nur die kleine Tischlampe beleuchtet einen eckigen Tisch, der vollgeladen ist mit Fotos und Illustrierten. Eine Vase mit grünen Tannenzweigen und einer roten Blüte steht gefährlich nahe am Rand. Sie dreht den Kopf und schaut hinaus auf die kahlen Äste der Kastanie vor der Scheibe. Die tiefliegenden Augen in dem kleinen zerfurchten Gesicht blicken stumpf.
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Sommeridylle

Landwein - Hochformat„Möchtest du noch einen Schluck Wein, Frederik?“ Roswitha lächelt ihn  an und greift mit der Hand in den Picknickkorb. Wie schön ist es, jetzt mit ihm zusammen hier auf dieser blühenden Sommerwiese zu sitzen.
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Fünf Euro zehn

barrierefrei„Wo bleibt der Bus nur?“ Mathilda Grewens blickt unruhig auf die Uhr, streicht der siebenjährigen Jana, die apathisch in ihrem Rollstuhl sitzt, liebevoll über die Stirn und wendet sich an die anderen drei Mütter, die ebenfalls mit ihren behinderten Kindern an der Schulbushaltestelle einer niedersächsischen Kleinstadt warten.
„Herr Diesel ist doch sonst immer so pünktlich und zuverlässig.“
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Das Boot ist voll

StacheldrahtEs war eine düstere Novembernacht und ich war allein zu Hause. Der Hund hatte schon ein paar Mal angeschlagen, als er gegen Mitternacht endlich Ruhe gab. Ich wälzte mich noch eine Weile hin und her, hörte das alte Haus ächzen und knarren und war gerade eingeschlafen, als ich spürte, dass es ganz hell im Zimmer war. Ich öffnete die Augen und sah
ein gleißendes Licht, das sich immer mehr ausbreitete.
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Doppelleben

blutlacheSo sieht kein Monster aus, dachte der junge Richter, als ihm Richard Feddersen vorgeführt wurde. So unscheinbar und grau und blass. Unstete Augen hinter dicken Brillengläsern, fahrige Handbewegungen, eine leise, leicht lispelnde Sprache. Eher ein Opfer als ein Täter. Eine Figur wie aus Kafkas Romanen.
Reinhold Börnson sollte zum ersten Mal in einem Strafprozess den Vorsitz führen. Nicht dass er sich schlecht vorbereitet fühlte, aber vielleicht hätte doch ein älterer, erfahrener Richter mit dem Vorsitz betraut werden sollen, denn bei der Scheußlichkeit der Tat würde der Prozess ein enormes Medieninteresse auf sich ziehen. Wie Haie warteten die Anwälte auf formal-juristische Fehler, um in Revision zu gehen. So hatte Börnson sich den Start seiner richterlichen Laufbahn nicht vorgestellt. Aber vielleicht könnte genau dieser Prozess auch die erste Stufe zu seiner Karriere sein.
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